Am Dienstag waren wir faul und blieben zu Hause (irgendwann muss ich ja mal die vielen Bücher lesen, die ich eingepackt habe …). Habe ich schon von der Besonderheit unseres Gästehauses berichtet? Der Vorbesitzer, der Playboy von San Giovanni La Punta, ließ die ehemalige Scheune oder was das Gebäude in einem früheren Leben auch immer war, in ein Liebesnest im Loftstil ausbauen, mit einer Unmenge an LED-Lampen und diversen Lichteffekten. Auch wenn diese inzwischen fast alle ausgebaut sind, gibt es immer noch die entsprechenden Lichtschalter, vierundzwanzig (!) allein im Wohnzimmer. Das führt dazu, dass wir ständig bei dem Versuch, eine Lampe auszuschalten, drei neue anmachen …
Der Tag war erneut heiß und sonnig, aber davon hatten wir leider nicht viel, weil wir von unersättlichen Mücken belagert wurden, sobald wir im Garten auftauchten. Eine hat es tatsächlich geschafft, mich in die Fußsohle zu stechen, und ich weiß nicht, ob ich ihren Ehrgeiz bewundern oder über diese gierige Entschlossenheit entsetzt sein soll.
Wegen der Hitze starteten wir diesmal mit einem Frühstück der sizilianischen Art in den Tag: Es gab Granita mit Brioche. Meine Lieblingssorte ist bislang Pfirsich, und unser Café mischt sogar ganze Fruchtstücke mit hinein, was diesem eiskalten Vergnügen den letzten Kick gibt. Neugierig geworden, was sie sonst noch an Leckereien anbieten, haben wir uns ein paar kleine Gebäckteile besorgt, die wie winzige Eiswaffeln aussehen und mit einer Art Sahnecreme gefüllt sind, die dann noch in Kuvertüre getaucht wird. Die Geschmacksrichtungen, die wir probiert haben, waren weiße Schokolade, Mandel und Zitrone; alle drei sind zu empfehlen.
Am Abend landeten wir wieder in Tina’s Restaurant und ließen uns bekochen. Die Auswahl ist ja nicht groß, weshalb wir versuchen, wenigstens ein bisschen Abwechslung zu schaffen, indem wir unsere Lieblingssauce mit einer anderen Pastasorte bestellen. „Alles ist möglich“, versicherte uns Franco, doch als Mark G. seine Carbonara mit Gnocchi essen wollte, reagierte er geradezu entsetzt. Auch beim Essen sind der Toleranz anscheinend Grenzen gesetzt.
Am Mittwoch ging es weiter zur nächsten Etappe unserer Reise. Unterwegs zu unserem Café stellten wir etwas Erstaunliches fest: Nach nur fünf Tagen im Ort wurden wir bereits von den Einheimischen begrüßt, als gehörten wir hierher. Auch die Verständigung – meist mit Händen und Füßen und einer abenteuerlichen Mischung aus Englisch und Italienisch – klappt gut.
Unsere Fahrt führte uns ins Landesinnere und hoch in die Berge. So spät im Jahr und nach diesem trockenen Sommer ist die Landschaft braun und verdorrt, aber dennoch wunderschön. Das gelb-braune, sich im Wind wiegende Gras erinnerte uns an die amerikanische Prärie, nur die verfallenen Bauernhäuser entlang der Autobahn störten den Eindruck.
Erste Station war die Villa Romana del Casale, eine römische Villa aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert, die Mitte des letzten Jahrhunderts ausgegraben wurde. Berühmt ist sie für ihre wunderschönen Mosaike, die man unbedingt gesehen haben sollte. Leider steht man mit diesem Wunsch nicht alleine da, denn es wimmelte nur so von Touristen und ganzen Gruppen, die in Bussen angereist waren. Immerhin bekamen wir, eingepfercht zwischen einer italienischen und einer amerikanischen Gruppe, so in den Genuss einer kostenlosen Führung …
Nach anderthalb Stunden beklemmender Enge und endlosem Geschiebe und Gedränge (wie mag es da erst zur Hauptsaison sein?) und der Bewunderung für die antike römische Lebensweise, ging es weiter nach Piazza Armerina. Das kleine Bergstädtchen, das keck auf einigen Hügeln thront, ist nichts, was man unbedingt gesehen haben muss, aber wenn man schon in der Nähe ist, sollte man den Abstecher wagen. Wir fanden sogar einen großen, kostenlosen Parkplatz nahe des Zentrums und schlenderten eine knappe Stunde lang durch die engen Gassen.
Piazza Armeria nennt sich etwas großspurig die Stadt der hundert Kirchen. Tatsächlich steht an jeder Straßenecke eine, aber insgesamt sind es angeblich nur etwas über vierzig. Und alle sind geschlossen. Vielleicht lag es an der Mittagszeit, zu der ohnehin jeder die Läden dichtmacht und die Beine hochlegt, vielleicht wollen sie aber auch keine Besucher. Die einzige unverschlossene Kirche, die wir fanden, hatte dafür ein paar menschliche Wachhunde, die uns sofort verscheuchten, als wir einen Blick hineinwerfen wollten. Nicht einmal von der Tür aus durfte man hineinsehen. Was wir dennoch verbotenerweise erblicken konnten, war wunderschön: Das gesamte Kirchenschiff inklusive Decke war mit Fresken bedeckt. Wirklich schade, dass man uns nicht wenigstens ein, zwei Minuten gegönnt hat.
Das zweite, was mir an der ansonsten wirklich hübschen Stadt missfallen hat, waren die vielen toten Tauben. Manche Orte waren mit Federn übersät, gelegentlich fand sich ein Kadaver oder ein abgerissener Flügel. Entweder werden sie abgeschossen oder die Stadt wird von sehr aggressiven Katzen beherrscht. Die toten Tauben von Piazza Armerina, so könnte ein italienischer Film aus den Sechzigern heißen.
Nach diesem Zwischenstopp ging es weiter nach Caltagirone, einem weiteren Städtchen, das sich über mehrere Hügel erstreckt (perfekt, um die vielen Granite abzutrainieren). Der Ort ist vor allem für seine Keramik berühmt, die wie der Name, der sich von Qalat al-ghiran (Burg über Höhlen) herleitet, dem Erbe der Araber geschuldet ist. Kirchen, Paläste, Brücken und Häuser sind mit vereinzelten Motivkacheln verziert. Auch die endlos lange und steile La Scala, eine Treppe, die zwei Stadtteile verbindet, ist mit Kacheln dekoriert. Hier finden sich auch die angeblich besten Geschäfte, um sich mit entsprechenden Souvenirs einzudecken, was wir natürlich pflichtgemäß taten.
Da auch hier alle Kirchen geschlossen waren, hatten wir nach rund einer Stunde alles gesehen (auch wieder einige, wenn auch nicht ganz so viele tote Tauben) und setzten unsere Reise fort. Unser Ziel ist ein ländliches B&B in der Nähe von Ragusa, in dem wir die nächsten Tage wohnen werden. Dummerweise ließ uns unterwegs das Navi im Stich, das auf einmal orientierungslos war, aber da waren wir auch schon fast da.
Der ehemalige Gutshof einer Adelsfamilie aus dem Jahr 1795 ist wunderschön und relativ frisch renoviert. Die Gastgeber sind äußerst rührig, haben uns nett willkommen geheißen und uns das Anwesen gezeigt, das auch über einen Pool und eine eigene Kapelle verfügt. Es gibt sogar Schafe – so ländlich ist es hier – und auf dem Nachbarhof Kühe. Der Blick geht weit über die Ebene fast bis ans Meer, das man angeblich an klaren Tagen sehen kann. Ich glaube, hier können wir es aushalten.
Der Hunger trieb uns am Abend noch einmal aus dem Haus. Die Italiener essen ja gerne spät, jedenfalls nicht vor acht, halb neun Uhr, weshalb wir wieder einmal die einzigen Gäste im Restaurant waren. Unsere netten Gastgeber hatten es empfohlen, und ich glaube, dass es hier draußen auf dem Land auch gar nicht so viel Auswahl gibt. Umso überraschter waren wir, als sich die Pizzeria Cimillá als recht neues und schickes Lokal entpuppte, modern eingerichtet und mit ausgesprochen freundlichem Personal, das sich schließlich sogar mit Handschlag verabschiedete.
Auch das Essen war fantastisch, der Meeresfrüchtesalat sehr schmackhaft, Mark G.s Filet butterzart und meine Pizza ein Gedicht. Der Pizzateig war hier ganz anders als man ihn sonst kennt, viel fuffiger und mehr wie eine Foccacia, nur weniger kompakt. Danach waren wir eigentlich satt – bis uns der Kellner auf die Pizza Dolci aufmerksam machte. Es gab mehrere Variationen davon, und wir dachten, wir könnten uns ja eine kleine mit weißer Schokolade und karamellisierten Mandeln sowie Ricotta und Pistazien teilen (jede Pizza wird in zwei Geschmacksrichtungen serviert). Die „kleine“ Pizza entpuppte sich dann als genauso groß wie jene, die ich als Hauptgang hatte …