Die Sizilianer sind ein bisschen verrückt. Am Sonntagmorgen um acht Uhr donnerten wieder die bomba santa los, diesmal zum Glück in einiger Entfernung. Vermutlich steigt in einer anderen Kirche ein weiteres religiöses Fest – oder sie wollen nur sicherstellen, dass alle wach sind und auch zur Messe gehen.
Als wir das Wochenende geplant hatten, dachten wir, der Samstag wäre der heißere Tag, aber nein, am Sonntag stieg die Quecksilbersäule auf über vierunddreißig Grad! Sizilien leidet ohnehin unter einem extrem trockenen und heißen Sommer, und es will einfach nicht viel kühler werden. Verglichen mit den Temperaturen daheim ist das natürlich nicht schlecht, aber es ist mir viel zu heiß.
Wir fuhren mit dem Auto nach Siracusa, was eine knappe Stunde gedauert hat, und unterwegs konnten wir eine der trostlosesten und verseuchtesten Gegenden Italiens bewundern. Eine Industrieanlage reiht sich hier an die andere, die Sterblichkeitsrate liegt weit höher als im Rest des Landes, und die Natur sieht aus, als würde hier ganzjährig Herbst herrschen. Manche Bäume besaßen nur eine halbe grüne Krone, andere waren gänzlich abgestorben. In der Luft lag ein scharfer, chemischer Geruch, den auch eine frische Brise vom Meer nicht vertreiben konnte.
Das antike Syrakus war eine der größten und mächtigsten Städte der Welt. Zwischen einer halben und anderthalb Millionen Menschen lebten innerhalb seiner Mauern, darunter berühmte Dichter wie Aischylos, Theokrit oder Pindar und natürlich Archimedes. Man begegnet dem Mathematiker übrigens auf Schritt und Tritt in der Stadt, und ihm ist sogar ein eigenes Museum gewidmet.
Zunächst fuhren wir nach Neapolis, um uns die Überreste der griechischen und römischen Zeit anzuschauen. Das antike Theater war mit 15.000 Plätzen eines der größten der Welt und unter anderem Geburtsort der Komödie. Weniger lustig ist ein Spaziergang durch die angrenzenden Steinbrüche, in denen sich rund siebentausend Kriegsgefangene aus Athen zu Tode schuften mussten. Dort befindet sich auch das berühmte Ohr des Dionysios, eine aus dem Fels gehauene Höhle mit beeindruckender Akustik und einer beklemmenden Atmosphäre. Leider waren die anderen Höhlen allesamt geschlossen. Sehr viel mehr gab es danach nicht mehr zu sehen, weshalb wir nach einem Abstecher zum römischen Amphitheater schon mit unserer Runde durch die Vergangenheit fertig waren. Da auch das Museum am Sonntag bereits mittags seine Pforten schließt, hatten wir plötzlich den Nachmittag frei.
Ursprünglich wollten wir erst in einigen Tagen nach Ortigia fahren, aber die Gelegenheit war günstig. Ortigia ist sozusagen die Keimzelle der Stadt und liegt auf einer Insel, die mit einem Damm und Brücken mit dem Rest von Syrakus verbunden ist. Wir sind stundenlang durch die engen, schmalen Gassen flaniert, haben Sizilien auf uns wirken lassen, das in manchen Ecken noch so aussieht, wie man sich das immer vorgestellt hat: schattige Straßen mit wunderschönen, aber heruntergekommenen Häusern, zwischen denen die Wäsche der Bewohner hängt.
Es gibt hier aber auch einige großartige Sehenswürdigkeiten, den Dom, der einmal ein Athene-Tempel war, was man noch gut erkennen kann, wunderschöne Plätze, edle Palazzi und eindrucksvolle Kirchen. In einer – Santa Lucia alla Badia – hängt Caravaggios Gemälde „Begräbnis der Heiligen Lucia“, für das außen groß geworben wird. Um die Touristenmassen zu bewältigen wurde der Sakralbau komplett ausgeräumt und hat dadurch leider viel von seiner Stimmung verloren. Zwei gelangweilte Aufpasser sitzen am Rand und raunzen jeden, der es trotz Verbots wagt, ein Foto machen zu wollen, über Lautsprecher an, es zu lassen.
Dicht am Meer liegt noch der Fonte Aretusa, um den viel Tamtam gemacht wird, der aber nicht sonderlich beeindruckend aussieht. Das Interessante daran sind die darin wachsenden Papyrusstauden, die einzigen in Europa, und der mythologische Ursprung, der von einer Nymphe erzählt, die in eine Quelle verwandelt wurde. Sizilien wimmelt nur so von keuschen Nymphen in Not, die vor lüsternen Göttern fliehen und sich in Gewässer verwandeln, und jeder Bildhauer, der etwas auf sich hält, hat sie in einer Brunnenskulptur verewigt.
Das ebenfalls sehenswerte Castello Maniace war leider geschlossen – anscheinend ist es für Sizilianer undenkbar, dass man an einem Sonntag etwas besichtigen möchte. Dafür findet diese Woche so etwas wie die Tage der offenen Denkmäler statt: Man kann jede Menge Kirchen und Paläste besichtigen, die sonst geschlossen sind. Falls wir noch Zeit und Lust haben, machen wir das vielleicht.
Bevor es wieder Richtung Catania ging, gönnten wir uns noch zwei Granite, diesmal jedoch ohne Brioche. Ein Café bot vier Geschmacksrichtungen zum Probieren an, die allesamt sehr lecker waren und in vier kleinen Gläsern auf einem Holztablett serviert wurden. An dieses Eis könnte ich mich glatt gewöhnen …
Den Abend ließen wir erneut in dem kleinen Familienrestaurant ausklingen, in dem wir am ersten Abend waren, und wieder wurden wir nicht enttäuscht. Das Essen auf Sizilien ist vielleicht nicht so raffiniert wie andernorts, aber insgesamt sehr schmackhaft. Apropos schmackhaft: Wir sind inzwischen von Kopf bis Fuß von Mücken zerstochen, gegen die selbst unser Anti-Mückenspray machtlos zu sein scheint. Das ist definitiv etwas, das mir an Sizilien nicht gefällt …