In Sizilien gehen die Uhren anders, selbst für italienische Verhältnisse. Geweckt wurden wir in aller Frühe durch einen heiligen Artillerieangriff: Weil ein Feiertag zu Ehren der Muttergottes begangen wurde, erklangen die bomba santa, die zwar keine Kanonenkugeln abfeuern, dafür aber eine Menge Krach machen. Vier Salutschüsse, und wir waren hell wach. Außerdem funktionierte die Warmwasserversorgung nicht, was ebenfalls zu einem recht erfrischenden Erlebnis führte …
Wir begannen unseren Urlaub mit einem Frühstück wie die Einheimischen, setzten uns in ein nettes Café und aßen ein Mittelding zwischen Sandwich und Pastete, dessen Name mir schon wieder entfallen war, bevor ich es ganz verspeist hatte. Es besteht aus Blätterteig, gefüllt mit Mozzarella, Schinken und Tomaten und war recht schmackhaft. Manche bestellen aber auch Granita zum Frühstück, ein Eis, und essen dazu eine Brioche, aber es wurde uns gesagt, dass man dann auf keinen Fall dazu Kaffee oder Tee trinken sollte, es sei denn, man möchte den Rest des Tages im Badezimmer verbringen.
Da wir anderes vorhatten, beließen wir es bei diesem Snack und machten uns etwas später auf den Weg nach Taormina, das der eine oder andere vielleicht noch aus den Nachrichten kennt. Vor ein paar Monaten fand hier der G7-Gipfel statt, und aus diesem Anlass spendierte die Regierung der Stadt neue Straßen. Die hat Taormina auch bitter nötig, denn die zehntausend Einwohner müssen jedes Jahr eine Million Touristen verkraften.
So sieht die Stadt aber auch aus. Souvenirläden, wohin man blickt, dazwischen exklusive Boutiquen und jede Menge Restaurants und Hotels. Der Ort ist wunderschön, sehr aufgeräumt und proper, aber das Zentrum hat auch etwas Unwirkliches an sich, weil ihm all das fehlt, das zu einer normalen Stadt gehört. Sehenswert ist neben der hübschen Altstadt vor allem das antike Amphitheater, das von den Griechen erbaut und von den Römern umgestaltet wurde. Es liegt oberhalb der Stadt und ermöglicht einen großartigen Blick auf die Bucht mit dem rauchenden Ätna im Hintergrund.
Auf dem Weg zum Theater reiht sich ein Souvenirstand an den anderen, was uns ein wenig an Ensenada erinnerte. Nur gab es hier ein verdammt gutes Eis …
Anstatt den direkten Weg zurück zu nehmen fuhren wir einen kleinen Umweg und gelangten nach Zafferana, einem kleinen Bergstädtchen, das für zwei Dinge berühmt ist: Honig und ein Wunder. Als 1992 der Ätna ausbrach und weite Teile des Landes verwüstete, gab es einen Mann außerhalb von Zafferana, der sich weigerte, sein Haus zu verlassen. Die Lavamassen kamen immer näher, er aber blieb standhaft. Als sein Haus bedroht war, ging er hinaus, um dem Vulkan wie in heidnischen Zeiten Brot und Wein zu opfern. Und tatsächlich, es half, die Lavamassen kamen kurz vor seinem Zuhause zum Stehen.
Das Haus steht heute noch, ist allerdings verwaist und verwahrlost, und man kann gut sehen, wo die Lava aufhörte zu fließen. Wahrscheinlich kann man es sogar kaufen, vulkanerprobt ist es ja nun. Der Mann selbst lebt nicht mehr, aber seine Geschichte erzählt man sich immer noch. Inzwischen wurde auch ein Schrein zu Ehren der Jungfrau Maria errichtet, weil die Bewohner Zafferanas damals ebenfalls einen Bittgottesdienst abgehalten haben und die Rettung der Stadt ihrer göttlichen Intervention zuschreiben. Aber wer möchte schon streiten, wenn letzten Endes nur das Ergebnis zählt?
Ganz in der Nähe des Hauses, das ein Touristenmagnet geworden ist, befindet sich ein Geschäft, in dem eine Honigmanufaktur ihre Produkte feilbietet. Dort gibt es sehr leckeren, aromatisierten Honig, Olivenöl, Liköre und andere Delikatessen. Perfekt, um schon mal ein paar Weihnachtsgeschenke zu erstehen …
Am späten Nachmittag kehrten wir wieder zurück, um noch ein wenig im Patio zu arbeiten. Sofort hatten wir Gesellschaft von der neugierigen, verschmusten Katze – und einigen sehr hungrigen Mücken. Es dauerte keine Viertelstunde, da hatte ich über ein Dutzend Stiche und flüchtete wieder ins Haus.
Am Abend ertönten noch einmal die Bomba santa, und einige Zeit darauf begannen alle Kirchenglocken Sturm zu läuten. Man hätte meinen können, dass der Ätna ausgebrochen oder der Papst gestorben sei, aber es war nur der Höhepunkt der Festivität, gefolgt von einem kleinen Feuerwerk auf der Piazza vor der Kirche. Das Erstaunliche war, dass niemand gefeiert hat. Kaum einer sah sich das – zugegeben recht bescheidene – Feuerwerk an, und auch sonst war schlichtweg überhaupt nichts los. Eine lapidare Erklärung unseres Gastgebers lautete, dass es hier so viele Feste von so vielen Heiligen gebe, dass fast jede Woche gefeiert werde. Zu dem Zeitpunkt saßen wir auf der Terrasse einer winzigen Pizzeria und genossen unser Essen. Jede Pizza bestand aus regionalen Bio-Zutaten, war glutenfrei (auch in den hiesigen Bäckereien gerade Trend) und traditionsbewusst. Man kann es auch übertreiben, war mein erster Gedanke, aber das Essen war wirklich gut. Wir hatten Pizzen mit geräuchertem Lachs, mit Auberginen, die eine sizilianische Spezialität zu sein scheinen, sowie mit Schinken und kleinen Mozzarellakugeln. Sowohl kulinarisch als auch touristisch war das ein höchst zufriedenstellender Tag.