Wann immer ich in den letzten Monaten erwähnt habe, dass ich nach Sizilien fahre, bekam ich zwei Antworten, entweder es stellte sich heraus, dass der andere schon mal dagewesen war und es großartig fand, oder er wollte unbedingt einmal dorthin reisen.
Jeder scheint diese Insel zu lieben, die aussieht wie ein deformierter Fußball, der vom italienischen Stiefel in den Atlantik gekickt wird. Und warum auch nicht? Sizilien hat italienisches Essen, antike Ruinen und viel Geschichte – und das Wetter ist ebenfalls nicht schlecht …
Die Nacht vor unserer Abreise war verdammt kurz. Leider musste ich bis zum letzten Moment arbeiten, warf schnell ein paar Klamotten in den Koffer und versuchte dann, ein paar Stunden zu schlafen. Ein paar ist hier durchaus wörtlich zu nehmen, denn es waren letzten Endes tatsächlich nur zwei. Hundemüde ging es daher im Morgengrauen zum Flughafen, begleitet vor allem von meinem schlechten Gewissen, weil ich weder meine Arbeit beendet noch mich adäquat auf den Trip vorbereitet hatte.
Immerhin verlief die Reise reibungslos, und nach zwei Stunden Flugzeit lag Sizilien bereits unter uns wie ein afghanischer Teppich. Ein ziemlich staubiger und schmutziger Teppich allerdings, denn alles hier ist braun. Nach einem so heißen und extrem trockenen Sommer ist das allerdings kein Wunder. Das Land, das sich in weiten Ebenen von einer Seite der Insel zur anderen spannt wie ein nachlässig aufgezogenes Betttuch, ist trocken, spröde und leer, die Felder sind anscheinend schon abgeerntet oder liegen brach. Wie ein behäbiger alter Mann hockt der Ätna in einer Ecke und qualmt gemütlich vor sich hin. Die Tatsache, dass er jederzeit ausbrechen und die viel zu nahe liegenden Dörfer und Städte zerstören könnte, sollte man bei diesem Anblick lieber sofort verdrängen.
Der Flughafen von Catania ist zwar sehr klein, dennoch haben wir es geschafft, über eine Viertelstunde nach unserer Mietwagenfirma zu suchen. Wir fanden sie schließlich in einem engen, überfüllten und überheizten Gebäude, in dem wir eine Ewigkeit warten mussten, bis wir unseren bestellten Wagen abholen konnten. So stelle ich mir das Fegefeuer vor: langweiliges Warten auf eine Gelegenheit, ins Paradies abzuhauen. Wer hier einen Verkaufsautomaten mit eisgekühlten Getränken aufstellen würde, wäre vermutlich in Kürze ein reicher Mann.
Das Gespräch mit der Dame von der Autovermietung verlief reichlich bizarr. Wie üblich wollte sie uns eine weitere Versicherung aufschwatzen, und diesmal konnte sie uns sogar überzeugen. Wenn man Sizilien hört, denkt man ja automatisch an die Mafia, auch wenn man das M-Wort tunlichst nicht laut aussprechen und sich niemals darüber lustig mache sollte, und kombiniert man diese Vorurteile mit der irrationalen Art der Italiener, Auto zu fahren, ahnt man, dass die Wahrscheinlichkeit, in einen Unfall oder ein Verbrechen verwickelt zu werden, relativ hoch ist. Tatsächlich erzählten uns unsere Gastgeber, dass sie beide bereits in einen Unfall verwickelt gewesen sind und jeder dritte ihrer Besucher ebenfalls.
Mit einer Versicherung allein ist es aber auch nicht getan, wir mussten zusätzlich eine Erklärung unterschreiben, dass wir über die Ausnahmen aufgeklärt wurden. Abgesehen davon, dass man nur auf bewachten Parkplätzen parken und nichts im Wagen lassen soll, gilt die Versicherung nicht vollumfänglich in Catania. Wird das Auto hier gestohlen, ist eine wesentlich höhere Selbstbeteiligung fällig. Catania und die gleichnamige Provinz, von der ich nicht weiß, wie groß sie ist, und hoffe, dass sie nicht die halbe Insel umfasst, ist also ein Hochrisikogebiet. Als wir der netten Dame dann noch mitteilten, dass wir fast zehn Tage hier verbringen würden, war sie regelrecht entsetzt. Wer tut so was?! In diesem Moment dachte ich ernsthaft darüber nach, meinen gesamten Urlaub auf dem Flughafen zu verbringen.
Am Ende wagten wir uns dann doch in unserem winzigen Fiat hinaus in die Stadt der Autodiebe (erwähne nicht das M-Wort!). Abgesehen von der Autobahn haben wir nicht viel gesehen, aber es scheint eine typisch italienische Großstadt zu sein, mit den üblichen deprimierenden Plattenbauten und wunderschönen, aber runtergekommenen Altbauten, die sich beide in einem ähnlichen Zustand des Verfalls befinden. Hier und da wird allerdings ein archetektonisches Schmuckstück renoviert, und darüber hinaus gib es eine Menge anderer Dinge zu sehen.
Wir wohnen bei Verwandten von Mark G. in einem Vorort oder angrenzendem kleinen Städtchen namens San Giovanni la Punta, das von den Immobilienmaklern besonders wegen seines wunderschönen Friedhofs beworben wird. Angeblich ziehen viele, vor allem ältere Menschen nur deswegen hierher. Was auf den ersten Blick bizarr anmutet, hat einen tieferen Sinn: Wenn eine italienische Gemeinde viel Geld für einen Friedhof übrighat, kann man in der Regel davon ausgehen, dass sie auch alles andere gut in Schuss halten. Ein schöner Friedhof ist also ironischerweise ein Zeichen für hohe Lebensqualität.
Wir wünschten allerdings, sie würde dieses Geld lieber in die Infrastruktur stecken. Die Straßen waren in keinem guten Zustand, und die Gasse, in der unsere Gastgeber wohnen, ist so klein, dass sie selbst das Navi nicht findet. Es gibt zwar ein Straßenschild, das aber so angebracht wurde, dass es von der Hauptstraße aus – eine Einbahnstraße – nicht zu sehen ist, und sie ist so schmal und kurz, dass ich sie für einen Gehweg gehalten habe. Wir sind zweimal glatt dran vorbeigefahren, ohne sie zu finden, wobei wir wegen der Einbahnstraße jedes Mal wieder die gesamte Stadt durchqueren mussten, um zu unserem Ausgangspunkt zurückzukehren.
Besagte Gasse ist außerdem nur im Rückwärtsgang zu befahren, es sei denn, man möchte sein Auto für immer dort stehen lassen (was den Vorteil hätte, dass es dann wenigstens nicht gestohlen wird) oder den selbstmörderischen Versuch unternehmen, rückwärts in den italienischen Verkehr einzuscheren. Es ging also rückwärts in diese Gasse, die so eng war, dass selbst die Außenspiegel unseres winzigen Wagens in Gefahr gerieten, noch dazu bergauf und um ein paar Ecken herum in eine Hofeinfahrt, neben der ein Brunnen lag, dessen ebenerdiges Becken wie ein gigantisches Schlagloch wirkte. Wir benötigten mehrere Anläufe, waren anschließend schweißgebadet, und die Luft war erfüllt vom beißenden Geruch der Reifen oder des Getriebes.
Unser Zuhause für die nächsten Tage ist ein angenehm kühles und riesiges Gästehaus mit einem wunderschönen Patio. Eine zahme Katze gibt es auch, die sich bereitwillig streicheln lässt, dabei aber hin und wieder zuschnappt. Und es ist mit 28 Grad noch sommerlich warm.
Den Abend verbrachten wir in einem heimischen Lokal, in dem eine gutmütige italienische Mamma kocht. Es gibt zwar eine Karte, aber die Gerichte dort sind eher Anregungen, und man hat die Möglichkeit, sie ein bisschen abzuwandeln oder etwas anderes zu bestellen. Die von uns probierten Gnocchi und Spaghetti Carbonara waren entsprechend lecker und schmeckten in der Tat hausgemacht. Zum Nachtisch gab es in einem Café noch ein gutes Gelato mit zwei hiesigen Spezialitäten, die eine nennt sich „Gruß vom Ätna“ und ist ein Pistazieneis mit Haselnüssen und Torrone, das andere trägt den Namen „Sieben Schleier“ und wurde nach einer Torte aus Palermo kreiert, die aus sieben unterschiedlichen Schichten Schokolade besteht. Beide waren ausgesprochen gut.
So endete unser erster Tag auf Sizilien.