Der Stern von Indien

Diese Woche findet die alljährliche Kölner Filmmesse statt, und Mark G. und ich haben uns nach drei Jahren Abstinenz entschlossen, mal wieder teilzunehmen. Von Dienstag bis Freitag werden wir uns daher neue Trailer und auch einige Filme anschauen, mit netten Kollegen plaudern und die Kölner Gastfreundschaft genießen. Wenn ich am späten Abend noch die Zeit finde, werde ich zwischendurch einen Bericht schreiben, es kann aber auch sein, dass ich erst nächstes Wochenende dazu kommen werde.

Da diese Woche ein wunderbarer Film startet, den ich schon vorab sehen durfte, gibt es heute schon meine Kritik dazu:

Der Stern von Indien

1947 reist der letzte Vizekönig Lord Mountbatten (Hugh Bonneville) mit seiner Frau Edwina (Gillian Anderson) nach Indien, um die Rahmenbedingungen für die staatliche Unabhängigkeit auszuhandeln. Schon bei seiner Ankunft muss er jedoch feststellen, dass das Land tief gespalten ist, Hindus, Sikhs und Moslems bekämpfen sich aufs Blut, es kommt zu Massakern, Anschlägen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den Städten. Deshalb überlegen die Politiker, das Land zu spalten.

Die Geburt einer Nation, heißt es irgendwann im Film sinngemäß, vollzieht sich immer blutig. Als die Briten nach dreihundertjähriger Herrschaft Indien verließen, stand das Land nicht zuletzt wegen der bisherigen Kolonialpolitik, die darauf abzielte, die unterschiedlichen religiösen Gruppen gegeneinander auszuspielen, um keine einheitliche Front gegen sich zu haben, vor schier unlösbaren Problemen. Die Situation in afrikanischen und arabischen Ländern unter der Herrschaft europäischer Kolonialmächte sah auch nicht viel besser aus, weshalb viele Probleme – Stichwort islamischer Antisemitismus – bis in unsere Zeit nachwirken und uns über die jüngsten Flüchtlingsbewegungen wieder einholen. Die bittere Ironie der Geschichte …

Gurinder Chadha, die Regisseurin, die uns bereits den wunderbaren Kick it like Bekham beschert hat, erzählt von den Geburtsschmerzen zweier Länder, Indiens und Pakistans, die sich bis heute als unversöhnliche Gegner gegenüberstehen, obwohl sie aus demselben Schoß hervorgegangen sind. Die Gründung beider Staaten führte unter anderem unmittelbar zu einer Umsiedlung großer Teile der Bevölkerung aufgrund ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit. Interessanterweise gehörte Chadhas eigene Familie ebenfalls zu jenen, die damals ihr Heim verlassen mussten und umgesiedelt wurden – die größte Migrationsbewegung der Geschichte, bei der viele Menschen ihr Leben ließen.

Für die vielen Opfer, die letzten Endes nur Figuren im Spiel der Mächtigen sind, hat Chadha diesen Film gemacht, und diese Leidenschaft überträgt sich auch von der Leinwand auf den Kinosaal. Die politischen Intrigen, die erbitterten Streitgespräche der einzelnen Führer – Gandhi, Nehru und Jinnah – und nicht zuletzt das Dilemma Mountbattens, der es gerne jedem Recht machen würde, dabei aber nur zwischen die Fronten gerät und am Ende feststellen muss, dass höhere Mächte in London ihn als Marionette missbrauchen und das Schicksal mehrerer Nationen schon längst festgeschrieben hatten, bevor er nach Indien reiste, werden spannend und anschaulich geschildert. Chadra hat sehr geschickt dabei reale Wochenschau-Filme in die Handlung eingebaut und die Schauspieler mittels digitaler Effekte integriert.

Wem das jetzt zu trocken und zu sehr nach Geschichtsunterricht klingt, kann ganz beruhigt sein, denn es gibt noch eine sehr schöne und bewegende Liebesgeschichte zwischen dem hinduistischen Diener Jeet (Manish Dayal) und der muslimischen Angestellten Aalia (Huma Qureshi), die wegen der zunehmenden Spannungen und Aalias Verlobung nicht zueinander finden können. Durch ihre Augen erlebt der Zuschauer hautnah mit, was die Trennung Indiens für die Menschen bedeutet.

Darüber hinaus schwelgt die Regisseurin in bunten Farben und opulenten Szenen. Der Film spielt nahezu ausschließlich im prunkvollen Palast des Vizekönigs, in dem über fünfhundert Diener dafür sorgen, dass es den britischen Bewohnern an nichts fehlt. So stellt man sich das koloniale Indien vor …

Halb Geschichtsdrama, halb Liebesfilm trifft Chadhas Film den Zuschauer mitten ins Herz.

Note: 2

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.