Heute geht es mal wieder ums Fernsehen. Im letzten Herbst sorgte eine Mini-Serie in den USA für Furore, die relativ kurz danach auch bei uns zu sehen war. Da ich meistens solche Sachen aufzeichne und mir dann später und innerhalb weniger Tage anschaue, um nicht den Überblick zu verlieren, bin ich erst viel später dazu gekommen, mir einen Eindruck zu verschaffen. Gelegentlich kommt es ja vor, dass eine Serie oder ein Film mit Lorbeeren geradezu überschüttet werden, ich den Hype aber nicht ganz nachvollziehen kann …
The Night Of
Naz (Riz Ahmed) will nur auf eine Party, als sein Leben völlig aus der Bahn geworfen wird. Weil ihn ein Freund versetzt, nimmt er sich heimlich das Taxi seines Vaters, dann steigt die draufgängerische Andrea (Sofia Black-D’Elia) ein – und überredet ihn, sie zu fahren. Am Ende landen sie in Andreas Haus, wo sie Drogen nehmen und Sex haben. Als Naz wieder erwacht, ist Andrea tot, und er gerät in Panik. Auf dem Heimweg wird er prompt von einem Streifenwagen angehalten und verhaftet. Danach ist nichts mehr wie es war …
Die achtteilige Mini-Serie war von Anfang an ein Kritikererfolg und entwickelte sich auch zu einem Publikumsliebling. Die Ausgangsidee ist relativ spannend, allerdings auch ein wenig altmodisch, was natürlich kein Nachteil sein muss. Früher hätte bei einer solchen Grundkonstellation ein Mann, der des Mordes verdächtigt wird, aus dem Polizeigewahrsam fliehen und dann seine Unschuld beweisen müssen, und man hätte das Ganze Auf der Flucht nennen können, doch davon kann hier keine Rede sein.
Stattdessen handelt die Geschichte davon, wie ein junger Mann vom Gefängnis und der Gewalt, die von den Wärtern und Insassen ausgeht, charakterlich deformiert und moralisch gebrochen wird. Wer zuvor noch kein Krimineller war, wird hinter Gittern sicher einer werden, lautet die Botschaft. Doch Naz ist kein Unschuldiger, wie man zu Beginn vielleicht vermuten könnte, wenn man den rehäugigen jungen Mann dabei beobachtet, wie er einen dummen Fehler nach dem anderen begeht, und diese Ambivalenz der Figur zerstört nach und nach die Sympathien für sie. Würde er stärker leiden, hätte man sicherlich mehr Mitleid mit ihm, doch so macht er schnell bereitwillig gemeinsame Sache mit Freddy (Michael Kenneth Williams), dem Paten von Riker’s Island, und lässt sich von ihm vor den Karren spannen.
Glücklicherweise gibt es noch John Stone (John Turturro), den Anwalt, der eher zufällig über Naz stolpert. Die Figur ist ein Glücksfall für die Serie, und Turturro spielt sie meisterhaft zwischen schleimiger Gerissenheit und tollpatschigem Versagen. Gebeutelt von unappetitlicher Neurodermitis, für die er sich selbst auf obskure Behandlungsmethoden einlässt, muss sich dieser Schmalspuranwalt, der Prozessen am liebsten aus dem Weg geht, nun vor Gericht behaupten – und verliert seine Stelle beinahe an eine publicitygeile Kollegin.
Wirklich spannend ist die Serie nur zeitweilig und vor allem in den letzten Folgen. Das Tempo ist eher gemächlich, und auch der Krimi-Plot taugt nicht sehr viel, weil weder die Polizei noch die Anwälte über lange Zeit wirklich ermitteln. Als Zuschauer glaubt man daher, den Fall schon längst gelöst zu haben, um am Ende doch noch überrascht zu werden.
Die Qualität der Serie liegt in ihrem Realismus, der die Genrekonventionen bisweilen stark unterläuft, und ihren exzellenten Schauspielern. Außerdem ist es beruhigend zu wissen, dass mit den acht Episoden der Fall auch wirklich gelöst ist und keine weiteren Staffeln ins Haus stehen …