Wilson

Vergangenes Wochenende ist ein sehr charmanter Film gestartet, auf den ich gerne hinweisen möchte. Leider wird er nur in fünfzig Kinos gespielt, weshalb es schwierig sein dürfte, ihn zu sehen, aber wer die Gelegenheit dazu hat, sollte ihn sich nicht entgehen lassen.

Wilson

Wilson (Woody Harrelson) führt ein einsames Leben, in dem sein Hund im Zentrum seiner Aufmerksamkeit steht. Mit seinen Mitmenschen hingegen kommt er nicht besonders gut klar, denn Wilson ist aufdringlich, provozierend freundlich und gnadenlos ehrlich, womit nicht jeder klarkommt. Nachdem sein einziger Freund weggezogen und sein Vater verstorben ist, kommt Wilson auf die Idee, nach seiner Ex-Frau (Laura Dern) zu suchen, die vor einiger Zeit in die Stadt zurückgekehrt ist. Von ihr erfährt er, dass sie nach ihrer Trennung ein Kind zur Welt gebracht und zur Adoption freigegeben hat. Begeistert macht Wilson sich auf die Suche nach der inzwischen fast erwachsenen jungen Frau …

Menschen wie Wilson mag es geben, man möchte ihnen allerdings nicht begegnen. Als Deutsche haben wir natürlich die perfekte Bezeichnung für solche Leute: Nervensägen. Aufdringlich setzt er sich im leeren Bus neben einen und quatscht drauflos, bis man entweder sich oder ihn umbringen möchte. Er ist neugierig und so ehrlich, dass er jedem damit vor den Kopf stößt. Ein Exzentriker, um es freundlich zu sagen, diejenigen, die auf ihn treffen, haben andere Bezeichnungen für ihn. Wilson wurde von Daniel Clowes erfunden und war zunächst eine Comicfigur, bevor Woody Harrelson ihm nun unter der Regie von Craig Johnson Leben einhauchte.

Harrelson ist großartig in der Rolle, schelmisch, eindringlich und aufdringlich, dabei aber nie verletzend oder bösartig und auch kein tumber Tor, kein Naivling, sondern einfach nur ein vom Leben häufig enttäuschter Mann in mittleren Jahren, der den Kampf noch nicht aufgegeben hat. Er sehnt sich nach Wärme, nach Geborgenheit, einem Menschen, der ihm Heimat ist und sich an ihn erinnert, wenn er dereinst nicht mehr da ist. Wilson ist, kurz gesagt, ungeheuer menschlich.

Seine Umwelt emfindet ihn in erster Linie jedoch als ungeheuer anstrengend. Laura Derns Blicke in den ersten Momenten ihres Wiedersehens sind großartig, voller Verzweiflung und Ergebenheit, dass man dem Schicksal wohl einfach nicht entkommen kann, wenn es sich einmal auf einen eingeschossen hat. Aber sie erkennt – wie auch der Zuschauer – die verborgenen Qualitäten, die Wilson besitzt, seine Loyalität und Klugheit, die sich unter all den rüden Kommentaren verbergen, seine Sehnsucht nach Nähe, die rührend und erschreckend zugleich ist.

Die Geschichte braucht mehrere Ansätze, bis sie endlich Fahrt aufnimmt, sie hangelt sich mehr von Ereignis zu Ereignis, anstatt einen Bogen vom Anfang bis zum Ende zu spannen, und Wilson gerät in einige seltsame Situationen und muss einen dramatischen Schlag hinnehmen, den Autor und Regisseur dem Zuschauer aber weitgehend ersparen. Das ist schade, denn so rauben sie der Story ein wenig von ihrer emotionalen Wucht. Es scheint, als hätten sie Angst vor zu viel Dramatik gehabt und sich lieber auf das Absurde und Lächerliche konzentriert, obwohl Harrelson ganz eindeutig beweist, dass er sowohl das stille als auch das laute Drama beherrscht.

Nach all den Tiefschlägen, die Wilson einstecken muss, nimmt der Film zum Ende hin, so viel sei verraten, wenigstens noch eine positive Wendung. Und man freut sich darüber ganz ungemein, denn der stoffelige, unmögliche Wilson ist einem bis dahin schon längst ans Herz gewachsen.

Note: 2-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.