In meiner Halbjahresbilanz habe ich versprochen, noch die fehlenden Kritiken zu einigen Filmen nachzureichen. Den Anfang macht heute:
Die versunkene Stadt Z
Percival Fawcett (Charlie Hunnam) hat ein Problem: Obwohl er schon seit vielen Jahren als Offizier in der britischen Armee dient, hat er noch keinerlei Auszeichnungen oder Medaillen vorzuweisen und wird bisweilen wie ein Ausgestoßener behandelt. Schuld daran ist sein verstorbener Vater, der ein Spieler war, Geld und Besitz verloren und den guten Ruf der Familie ruiniert hat. Percy will diese Schmach unbedingt wiedergutmachen und nimmt daher den Auftrag der Royal Geographic Society an, in Südamerika als Kartograf Amazonien zu erkunden. Durch Zufall stößt er auf keramische Artefakte, die ihn zu der kühnen These verleiten, dass es im Dschungel eine versunkene Stadt, eine vergessene Zivilisation gegeben haben könnte. Nach seiner triumphalen Rückkehr wird er deswegen zwar verlacht, vor allem weil es ihm nicht gelungen ist, Beweise zu sichern, doch Percy hält an seiner These fest und versucht zeitlebens, sie zu beweisen.
Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts befand sich Großbritannien auf dem Höhepunkt seiner Macht und beherrschte zwei Drittel der Welt. Die Neugier auf die Wunder dieser eroberten Länder war groß, das Streben nach Profit ebenso, weshalb Heerscharen von Abenteurern und Forschungsreisenden aufbrachen, die letzten weißen Flecken auf den Landkarten zu erkunden und so zu Ruhm und Reichtum zu kommen.
Percy Fawcett ist eine historische Figur und war nach seiner ersten Amazonasreise wohl tatsächlich eine Berühmtheit, der viele nacheiferten. Charlie Hunnam verleiht seinem Charakter den robusten Charme eines Berufsoffiziers, der anfangs wegen der Verfehlungen seines Vaters zu Unrecht gesellschaftlich benachteiligt wird und nur widerwillig nach Südamerika reist. Dort kommt er jedoch auf den Geschmack und wird zum Musterbeispiel eines Abenteurers, der die Ureinwohner nicht als minderwertig ansieht, sondern nur als fremd und exotisch. Damit steht er in direktem Gegensatz zu seinen arroganten Kollegen und ihrem institutionalisierten Rassismus.
Auf der Jagd nach einem Wildschwein stößt Percy jedoch auf einige Scherben und eine Skulptur, die auf die Überreste einer Zivilisation hindeuten, von der keiner etwas weiß und an deren Existenz so recht keiner glauben mag. Doch Percy verbeißt sich in seine Theorie und setzt alles daran, sie zu beweisen, was ihn noch zwei Mal in den Dschungel zurückführt, zuletzt in der Begleitung seines Sohnes. Der Mann wird zum Besessenen.
Die Beziehung zu seiner Familie, allen voran zu seiner von Sienna Miller gespielten Frau, steht dabei im emotionalen Zentrum der Geschichte. Einerseits teilt sie seine Leidenschaft, andererseits hätte sie gerne einen aktiveren Anteil an seinen Abenteuern, was ihr jedoch aufgrund ihrer gesellschaftlichen Rolle als Frau und Mutter versagt bleibt. Sienna Miller verkörpert die zum ewigen Warten verdonnerte Nina Fawcett mit unterdrückter Leidenschaft und stiller Verzweiflung, die schließlich in Resignation mündet. Damit darf sie weit mehr Gefühl zeigen als Charlie Hunnam, dessen Figur nahezu unbeschadet an Leib und Seele durch alle Abenteuer im Dschungel und auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs gleitet. Percys britische Unerschütterlichkeit lässt es leider nicht zu, sich der Figur wirklich zu nähern, seine Beweggründe, Hoffnungen und Ängste bleiben weitgehend verborgen.
Noch schwächer dargestellt wird sein Reisegefährten Henry Costin, den ein durch einen Bart fast unkenntlich gemachter Robert Pattinson erstaunlich grimmig anlegt. Was den Abenteurer nach Südamerika verschlägt, was ihn umtreibt, erfährt man leider überhaupt nicht. Auch die Freundschaft zwischen den beiden Männern spielt so gut wie keine Rolle. Es ist schade, dass das Drehbuch kein größeres Interesse an seinen Figuren zeigt.
Sehr ausgiebig erzählt James Gray von den Strapazen der Reise, vom Kampf gegen die Vegetation, den Krabbeltieren und Schlangen, die die Männer heimsuchen, oder von den Indios, die sie bekämpfen. Teilweise erinnert das alles an die verherrlichende Kolonialliteratur jener Zeit, nur vielleicht ein bisschen schmutziger und realitätsnäher und politisch korrekter. Letzten Endes führt das alles jedoch zu nichts, denn es gelingt nicht, die unterschiedlichen Aspekte der Geschichte, die Kritik am Kolonialsystem, die von einer kulturellen Arroganz gegenüber einer vermeintlich primitiveren Zivilisation befeuert wird, sowie die Sucht nach Ruhm und Abenteuer, zwingend in einer spannenden Geschichte zusammenzufassen.
Es passiert zwar eine Menge, manches davon ist auch packend in Szene gesetzt, aber der Funke will einfach nicht überspringen. Zu wenig greifbar bleiben dafür Percy und seine Leidenschaft für eine These, die auf einer nur wenige Sekunden langen Entdeckung beruht. Seine Konflikte, mit seiner Frau, einem Verbündeten, der zum Gegenspieler wird, sowie mit der Selbstherrlichkeit einer Gesellschaft, die die Eingeboren als Wilde verunglimpft und sich selbst auf den Schlachtfeldern Europas zerfleischt, kommen dabei nicht richtig zum Tragen.
Zweieinhalb Stunden dauern die wiederholten Reisen nach Südamerika, bevor Gray seinen Protagonisten nach einer mystischen Indianer-Zeremonie im dunstigen Grün des Dschungels verschwinden lässt. In all der Zeit kommt man dem Forscher höchstens so nahe wie seine vernachlässigte Familie, und das ist einfach viel zu wenig.
Note: 4-