The Jungle Book

Als Kind habe einmal eine schön bebilderte Ausgabe des Rudyard Kipling-Klassikers Die Dschungelbücher geschenkt bekommen und war von den Abenteuern Moglis und den anderen Geschichten darin begeistert. Meine liebste Erzählung war allerdings Rikki-Tikki-Tavi, in der ein tapferer Mungo eine indische Familie vor angreifenden Schlangen rettet. Ab diesem Zeitpunkt wollte ich natürlich auch einen Mungo haben, mit der Begründung, dass wir auf diese Weise niemals Probleme mit Schlangen bekommen würden. Leider waren meine Eltern von dieser Argumentation nicht so überzeugt wie gehofft …

Der Disney-Film war, wenn ich mich richtig erinnere, in einer seiner zahlreichen Wiederaufführungen tatsächlich der erste Film, den ich im Kino gesehen habe. Ich war natürlich begeistert. Vor ein paar Jahren habe ich allerdings noch einmal reingesehen und fand ihn inzwischen etwas zu langsam und altmodisch. Natürlich besitzt die Geschichte immer noch ihren Charme, die fetzigen Lieder sind nach wie vor die reinsten Ohrwürmer, aber tricktechnisch hat sich im Laufe der Jahre so einiges weiterentwickelt. Vermutlich dachte man sich bei Disney deshalb, dass eine Neuverfilmung an der Zeit wäre, zumal man bei anderen Umwandlungen von Zeichentrickfilmen in Realfilme wie Dornröschen oder Alice im Wunderland ebenfalls schon recht erfolgreich war …

The Jungle Book

Mogli (Neel Sethi) wurde einst vom Panther Baghira im Dschungel gefunden und von einem Rudel Wölfe aufgezogen. Während einer schlimmen Dürre wird jedoch der blutrünstige Tiger Shir Khan auf den kleinen Jungen aufmerksam und droht, ihn zu töten, sobald die vereinbarte Friedenszeit abgelaufen ist. Baghira will Mogli daher zu einem Dorf bringen, wo er vor dem Raubtier sicher ist, doch der Tiger macht Jagd auf sie …

Die erste Realfilmversion des Stoffes stammt aus dem Jahr 1942, und damals war die Umsetzung noch sehr viel schwieriger, weil mit lebenden Tieren gearbeitet wurde, die nur teilweise gezähmt waren. Auch in den Neunzigern gab es eine weitere Realfilmversion, unter der Regie von Stephen Sommers. Doch der Film von Jon Favreau ist anders, denn real ist an ihm eigentlich nur noch Mogli, während alles andere, von den Tieren bis hin zu den Pflanzen im Dschungel, im Computer entstand. So ist die Tricktechnik der heimliche Star des Films, den man in jeder Einstellung bewundert. Sicherlich, es wirkt nicht hundertprozentig echt, die Bilder können ihren CGI-Charakter nicht völlig verleugnen und erinnern teilweise an gut gemachte Computerspiele, aber wenn man sich von der Geschichte mitreißen lässt, vergisst man das alles schnell. Vor allem die Tiere sind bemerkenswert gut gelungen, so gut sogar, dass selbst die Tatsache, dass sie sprechen können, natürlich erscheint. Insofern ist der Film tatsächlich ein tricktechnisches Meisterwerk.

Inhaltlich ist der Film eine Mischung aus der Disneyvariante aus den Sechzigern und dem Versuch, sich wieder dem Original aus dem späten Neunzehnten Jahrhundert anzunähern. Kipling hat seine Erzählungen durch verschiedene Liedtexte getrennt, von denen zumindest Das Gesetz der Dschungel auszugsweise zitiert wurde. Das verleiht dem Film eine Feierlichkeit und Ernsthaftigkeit, die im krassen Widerspruch zu der ausgelassenen Stimmung von The Bare Necessities steht, letzteres ist dennoch eine hübsche Hommage an den Disney-Klassiker. Völlig misslungen ist jedoch der Auftritt des Affenkönigs (der Kiplings Aussage, dass die Affen plan- und kopflose Anarchisten sind, konterkariert), der eine gewisse Bedrohlichkeit und Gefährlichkeit ausstrahlt, um dann unvermittelt in fröhlichen Gesang auszubrechen. Das führt zu einem unschönen Bruch in der Stimmung der an sich gelungenen Szene, der ein weiterer Bruch folgt, wenn es zu einer wilden Verfolgungsjagd kommt.

Leider setzt auch diese Version zu sehr auf den Verniedlichungsfaktor und ein kindliches Publikum. So ist Balu immer noch – allerdings auf eine höchst amüsante Art – ein tumber Taugenichts und nicht der weise Lehrer, der er im Original ist, und die Schlange Kaa, eigentlich ein Freund von Mogli und sein (männlicher) Lebensretter, ist wieder einmal die böse, weibliche Verführerin. Immerhin erhalten die Elefanten ihre alte Würde zurück und werden wieder zur Autorität im Dschungel.

Auch Moglis Wandlung vom Jungen zum Mann, die in der Tötung Shir Khans gipfelt, wird nur ansatzweise erzählt. Zu sehr auf eine Fortsetzung fixiert, scheint der Kampf gegen den Tiger nur eine weitere Episode zu sein, die ohne Einfluss auf die emotionale Entwicklung des Helden bleibt. Der Junge beweist seine Cleverness und seinen Einfallsreichtum, und sein Erzfeind geht an seiner eigenen Boshaftigkeit zugrunde. Das ist märchenhaft und kindgerecht und wird der Tiefgründigkeit und Zerrissenheit der Figur nicht einmal im Ansatz gerecht.

Alles in allem ist es eine runde, gelungene Geschichte über den kleinen Mogli und seine Abenteuer im Dschungel, ein bisschen zu süßlich und kindgerecht, aber dennoch höchst unterhaltsam und vor allem tricktechnisch toll gemacht.

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.