Früher dienten vor allem Theaterstücke den Schreibern in Hollywood als Inspiration für neue Produktionen, aber auch Romane waren von Anfang an gute Steinbrüche für Ideen – und Biografien. Napoleon, Abraham Lincoln oder Jeanne D’Arc, sie alle wurden früh zu Filmhelden. Später folgten auch weniger bekannte Figuren der Zeitgeschichte, erfolgreiche Politiker und Sportler, seit einiger Zeit handeln Bio Pics aber auch von gewöhnlichen Menschen, denen außergewöhnliche Dinge widerfahren sind oder die etwas Besonderes geleistet haben.
Kürzlich habe ich The Finest Hours gesehen und hier darüber geschrieben, eine Geschichte über die Küstenwache, deren Mitglieder naturgemäß in gefährliche Situationen kommen. In 127 Hours ging es immerhin um einen jungen Mann, der in einer Extremsituation gezwungen war, etwas Undenkbares zu tun, und auch hier kann ich die Faszination für den Stoff verstehen. Aber in Joy: Alles außer gewöhnlich dreht sich alles um die Erfinderin eines neuartigen Wischmopps, die damit zwar außerordentlich erfolgreich war, aber von der außerhalb Amerikas wohl nur die Wenigsten je etwas gehört haben dürften. Es muss also etwas Anderes geben, etwas Universelles, das über ein ungewöhnliches Leben hinausweist und dem Film zugrunde liegt, dass man diese Geschichte mit einem so großen Staraufgebot verfilmt hat. Ich war neugierig …
Joy: Alles außer gewöhnlich
Joy (Jennifer Lawrence) hatte schon als Mädchen einen wachen Geist und erfindet gerne neue Gerätschaften für den Haushalt. Doch als junge Frau führt sie nicht das Leben, das sie sich einst erträumt hat: Anstatt zu studieren, hat sie sich um ihre Mutter (Virginia Madsen) gekümmert, die seit der Scheidung von ihrem Mann (Robert De Niro) kaum noch ihr Zimmer verlässt und völlig von einer Seifenoper besessen ist. Auch ihr Ex-Mann (Edgar Ramirez) lebt noch immer bei ihr, obwohl sie schon seit Jahren geschieden sind. Eines Tages hat Joy die Idee zu einem neuartigen Wischmop, den sie mit der Hilfe von Trudy (Isabella Rossellini), der reichen neuen Frau ihres Vaters, realisiert. Doch es ist nicht einfach, als Geschäftsfrau Fuß zu fassen, wenn sich die Familie ständig einmischt. Selbst als sie dank des neuen Verkaufskanals QVC und seines charismatischen Geschäftsführers (Bradley Cooper) Erfolg hat, droht erneut Ungemach …
Jennifer Lawrence gehört zu den seltenen Schauspielerinnen, die scheinbar alles spielen können und in jeder Rolle glaubwürdig sind. Ihre Verwandlung von einer viel zu gutmütigen, unsicheren jungen Frau zu einer gestandenen, wohlmeinenden, aber auch energischen Geschäftsfrau ist eindrucksvoll gelungen. Aber auch De Niro und Rossellini agieren außerordentlich gut – man hasst ihre Figuren praktisch in jeder Szene …
Abgesehen von den schauspielerischen Leistungen ist der Film eher durchwachsen. Man braucht eine ganze Weile, um sich in der chaotischen, bizarren Welt von Joy zurechtzufinden und die vielen Figuren auseinanderzuhalten, die nach einer Weile dann sowieso keine Rolle mehr spielen. Erzählt wird die Geschichte zudem von der (später toten) Großmutter (Diane Ladd), die im Grunde nur das Offensichtliche kommentiert und ansonsten Lobgesänge auf ihre Enkelin loslässt. So gewinnt man fast den Eindruck, Joy hätte nicht einen neuartigen Wischmop erfunden, sondern ein Heilmittel gegen Krebs.
Die Idee zu ihrer Erfindung kam Joy übrigens, als sie zerbrochene Weingläser beseitigen wollte, und man fragt sich unwillkürlich, warum sie das mit einem Mop versucht und diesen auch noch auswringt. Selbst ein Viertklässler weiß, dass man sich dabei unweigerlich schneiden wird. Und genauso verhält es sich auch mit dem Ende, wenn Joy all ihre Probleme löst, indem sie sich zum ersten Mal selbst mit der Materie – in diesem Fall mit den Tücken des Patentrechts – auseinandersetzt und einen einzigen Anruf tätigt, der sie aus ihrer Misere befreit. Erfindergeist eben …
Bei allem Respekt vor der Leistung der wahren Joy, die aus dem Nichts ein Millionenimperium aufgebaut hat, und der Tatsache, dass der Film nur sehr lose auf ihrer Biografie beruht, fühlt man sich als Zuschauer bisweilen verschaukelt. Die Schuld liegt einzig und allein bei Regisseur David O. Russell, der auch am Drehbuch mitschrieb und mit dessen Werken ich nie warm geworden bin. Hier schafft er es nicht, aus dem Stoff eines klassischen cheerie movies einen adäquaten, mitreißenden Film zu machen, trotz einer sensationellen Besetzung und des interessanten Hintergrunds des Verkaufsfernsehens.
Der Anfang ist viel zu wirr und chaotisch erzählt und lässt die Heldin in ihren Alpträumen durch die Welt einer Seifenoper irren, was vielleicht komisch wäre, wenn es irgendeinen Sinn ergäbe. Dazu kommen zahlreiche Figuren, mit denen Russell überhaupt nichts anzufangen weiß, und so offensichtliche Fehlentscheidungen seiner Heldin, dass man schon fast die Lust verliert, ihr zu folgen.
Zum Glück diszipliniert er sich in der zweiten Hälfte und konzentriert sich auf seine eigentliche Geschichte, und ab dann funktioniert der Film auch. Bradley Coopers Auftritt und der kleine Einblick in die Geburt des Verkaufsfernsehens besitzt schon fast satirische Züge und wäre vermutlich der bessere Stoff für eine lustigere Geschichte gewesen. Vielleicht widmet sich ja ein talentierterer Regisseur diesem Thema …
Note: 4+