Großbritannien beherrscht seit einiger Zeit wieder verstärkt die Schlagzeilen, momentan aus einem traurigen Anlass, aber auch die bevorstehende Wahl und die Brexit-Verhandlungen werfen ihre Schatten voraus. Das Land ist verunsichert und steht an einem Scheideweg seiner Geschichte, vielleicht ist das eine Erklärung dafür, dass es etliche Filme gibt, die sich gerade intensiv mit seiner Vergangenheit beschäftigen, vor allem mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Jahre danach.
A United Kingdom und Der Stern von Indien setzen sich mit der Kolonialpolitik auseinander, Dunkirk mit der Rettung britischer Soldaten. Dieses Wochenende startet ein kleiner, feiner Film über einen der größten Staatsmänner jener Ära.
Churchill
Im Juni 1944 steht die Invasion in der Normandie kurz bevor, als Winston Churchill (Brian Cox) plötzlich Zweifel an der Operation anmeldet. Er befürchtet ein ähnliches Desaster wie in Gallipoli während des Ersten Weltkriegs, das er seinerzeit als Kriegsminister politisch zu verantworten hatte und das zahlreiche Menschenleben gekostet hat …
Es ist erstaunlich, wie viele Filme und Serien über Winston Churchill als Haupt- oder Nebenfigur bereits entstanden sind oder noch zu uns in die Kinos oder auf den Bildschirm kommen werden. Was macht ihn so faszinierend, dass man sich immer und immer wieder auf ihn besinnt? Vielleicht liegt es daran, dass er einer der größten, wenn nicht sogar der größte britische Politiker der Geschichte ist, vielleicht möchte man daran erinnern, dass Großbritannien schon einmal vor einer Zerreißprobe stand und dank des Geschicks eines gewieften Premierministers sicher die turbulenten Zeiten hinter sich gelassen hat. Aber dann muss man sich gleichzeitig auch fragen: Wo ist der Winston Churchill unserer Tage?
Nicht minder erstaunlich ist auch, wie viele großartige Schauspieler ihn bereits verkörpert haben oder in kommenden Produktionen noch werden: Brendan Gleeson, Michael Gambon, John Lithgow, Gary Oldman, Albert Finney und jetzt Brian Cox. Letzterer macht seine Sache ausgesprochen gut, besonders in den emotionalen Szenen, in denen der Premier wie eine wütende Bulldogge lospoltert, ist er so furchterregend wie er von Zeitgenossen beschrieben wurde.
Der Film ist vor allem ein Kammerspiel, ein Psychogramm, in dem es um die Gewissenskonflikte des Premierministers geht, der auch nach dreißig Jahren immer noch unter seinen Entscheidungen als Kriegsminister leidet, der kriegsmüde und zermürbt und des Kämpfens überdrüssig ist. Es zeigt sich aber auch, dass sein politischer Stern im Sinken begriffen ist, dass die Generäle und die amerikanischen Alliierten unter Eisenhower (John Slattery) ihm längst das Heft des Handelns aus der Hand genommen haben. Für einen Macher wie Churchill eine nur schwer zu akzeptierende Tatsache.
Für heutige Zuschauer ist seine hartnäckige Opposition zur Landung in der Normandie schwer verständlich, und dass die Hauptfigur dadurch von Anfang an im Abseits steht, macht es zunächst schwer, einen Zugang zu ihr zu finden. Aber nach und nach, in langen Gesprächen, u.a. mit seiner Frau (Miranda Richardson) oder dem König (Mark Purefoy) erkennt Churchill seine wahre Rolle in diesem Teil des Krieges, die vor allem den Zusammenhalt einer Nation gewährleisten soll, die vor der größten Prüfung ihrer Zeit steht. Und im selben Maß, in dem man ihn zu verstehen lernt, seine Ängste und Nöte begreift, bekommt er auch ein menschliches Gesicht, steigt gewissermaßen von seinem Denkmal herunter und wird als Mensch begreiflich.
Note: 3+