Vergangenes Wochenende war ich in den Bergen. Eine Freundin hat ihren Geburtstag auf einer Almhütte gefeiert, was zunächst mit einem gut halbstündigen Aufstieg und einer Menge Geschnaufe verbunden war. Dafür hatten wir einen großartigen Blick auf die umliegenden Berge, eiskaltes Quellwasser direkt vor der Tür und mussten keine Rücksicht auf die Nachbarn nehmen. Leider war es an dem Tag etwas kühl, und die Sonne war von allen Gästen der mit Abstand schüchternste. Um uns aufzuwärmen und den Tag nicht zu lang werden zu lassen, wanderten wir am Nachmittag noch weiter zu einer Hütte auf 1360 Meter Höhe, wo sogar in manchen schattigen Ecken noch Schnee lag. Da ich zwar in einer bergigen Gegend, aber nicht unter Bergziegen aufgewachsen bin, war es ziemlich anstrengend, hinzukam, dass die meisten Gäste häufiger solche Touren unternehmen und entsprechend ein zügiges Tempo vorlegten – es war das reinste Speed-Wandern.
Trotz des Muskelkaters am Tag danach war es jedoch ein wunderschönes Erlebnis und mal eine völlig andere Geburtstagsfeier. Vielleicht sollte ich häufiger in die Berge fahren, auch wenn ich der Meinung bin, dass die von unten genauso schön aussehen …
Wie ich jetzt den Bogen vom bayrischen Voralpenland zur amerikanischen Westküste schlagen soll, weiß ich auch nicht, deshalb lasse ich es besser gleich und komme zu meiner Kritik.
Jahrhundertfrauen
Dorothea (Annette Benning) ist erst mit Anfang 40 Mutter geworden und erzieht seit ihrer Scheidung und dem Wegzug ihres Mannes an die Ostküste ihren Sohn Jamie (Lucas Jade Zumann) allein in Santa Barbara. Zwei Zimmer ihres großen Hauses hat sie an William (Billy Crudup) und Abbie (Greta Gerwig) vermietet, die mit der Zeit zu guten Freunden geworden sind. Jamies beste Freundin ist die zwei Jahre ältere Julie (Elle Fanning), in die er verliebt ist, die aber ihre Beziehung nicht durch Sex gefährden möchte …
Nach Thumbsucker – Bleib wie du bist! und Beginners ist dies der dritte Film von Mike Mills und der am schwersten fassbare. Es gibt keine richtige Story, sondern nur eine Zustandsbeschreibung, eine sehr genaue Beobachtung vom Leben dreier Frauen im Kalifornien der späten Siebziger. Ein Zeittableau, wenn man so will, oder eine Charakterstudie, in deren Mittelpunkt Dorothea steht, die vermutlich Züge von Mills Mutter trägt und eine relativ eigenwillige Person ist.
Jamie hält seine Mutter für einsam und ein Stück weit auch abweisend, aber dahinter verbirgt sich eine große Unsicherheit, ein Misstrauen Gefühlen gegenüber, das sich teilweise auch auf ihre Mutterrolle auswirkt. Einerseits ist Dorothea durchaus behütend, andererseits lässt sie Jamie alle möglichen Freiheiten, Schule schwänzen inklusive. Ihre Versuche, Zugang zu seiner Gefühlswelt, seinem Denken und seiner Weltsicht zu finden, sind rührend und führen zu bizarren Ausflügen in die Punkszene jener Tage.
Weil sie nicht weiß, wie sie Jamie ohne Vaterfigur zu einem Mann erziehen soll, und er die männlichen Vorbilder, die sie wie William in sein Leben holt, eher ablehnt, bittet sie schließlich Abbie und Julie um Hilfe. Abbie, die gerade eine Krebserkrankung überwunden hat und sich zögernd ins Leben zurücktastet, versorgt Jamie daraufhin mit feministischer Literatur und bringt ihm mit Hilfe von Freundinnen zu flirten bei, und natürlich kümmert sie sich auch um seine musikalische Erziehung. Doch Dorothea ist mit dem Resultat eher unzufrieden, wenn Jamie in eine Prügelei gerät, weil er plötzlich zu viel über weibliche Bedürfnisse weiß und seine Geschlechtsgenossen dumm dastehen lässt …
Julies und Jamies Beziehung ist komplex und kompliziert. Er liebt sie mit der Verzweiflung eines Fünfzehnjährigen, während sie Sex als eine seltsame Art gesellschaftlicher Verpflichtung, Ablenkung und Experimentierfeld begreift, das ihr nicht einmal sonderlich Freude bereitet. Dass sie ihm zu nahe ist und daher nicht mit ihm schlafen will, verunsichert und verletzt Jamie mehr als jede direkte Abweisung – zumal Julie ständig seine Nähe und sein Bett sucht, rein platonisch, versteht sich.
Alle Figuren sind auf der Suche nach dem richtigen, dem wahren Leben, sie wirken verloren in einer Welt, die sie nicht mehr (Dorothea) oder noch nicht (Jamie und Julie) verstehen, ein bisschen wie Reisende in einem fremden Land, die eine Zweckgemeinschaft bilden. Nahezu alle Charaktere kommentieren von Zeit zu Zeit das Gezeigte aus dem Off und erzählen zum Schluss, was auch ihnen geworden ist, so dass sich der biografische Charakter des Films noch verstärkt. Die schauspielerische Leistung aller Beteiligten ist beeindruckend, vor allem wenn man bedenkt, dass es nicht um große Dramen geht, sondern um die leisen Zwischentöne, das nur schwer Fassbare, Ungesagte, das zwischen den Worten mitschwingt.
Mills erzählt keine Geschichte, er erzählt vom Leben selbst, er schweift manchmal ab, kombiniert zeitgenössische Musik- und Filmerlebnisse mit fast lexikografischen Kommentaren und Einschüben und ganz persönlichen Statements. Dadurch entsteht ein detailreiches, aber nur bruchstückhaftes Panorama jener Zeit, in der die Moderne in eine Sinnkrise geriet, die sie noch immer nicht überwunden hat.
Note: 2-