Zu guter Letzt

Am Donnerstag starten gleich zwei neue Filme, die ich schon vor Monaten vorab sehen durfte und die mir beide gut gefallen haben. Hello, my Name is Doris war vergangenes Jahr eine köstliche Komödie über eine Exzentrikerin, großartig gespielt von Sally Field, heuer ist es Shirley MacLaine in einer wunderbaren Altersrolle, für es sich lohnt, ins Kino zu gehen.

Zu guter Letzt

Harriet Lauler (Shirley MacLaine) einen Kontrollfreak zu nennen, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Die pensionierte Geschäftsfrau treibt mit ihrem Perfektionismus ihren Gärtner ebenso zur Verzweiflung wie ihre Friseurin. Aber Harriet ist auch vom Leben gelangweilt, weshalb sie „versehentlich“ einige Tabletten zu viel schluckt und im Krankenhaus landet. Als sie schließlich auf die Idee kommt, sich mit Anne (Amanda Seyfried), der Redakteurin, die die Nachrufe verfasst, zusammenzusetzen, um noch zu Lebzeiten Einfluss auf das Bild zu haben, das sich die Nachwelt von ihr machen wird, erkennt sie, dass sie sich grundlegend ändern muss, wenn sie will, dass etwas Nettes über sie geschrieben wird …

Stinkstiefel sind die interessantesten Figuren – und die dankbarsten, weil man über sie am herzlichsten lachen kann. Shirley MacLaine hat in ihren Rollen noch nie ein Blatt vor den Mund genommen, und die exzentrische alte Dame ist schließlich zu ihrer Paraderolle geworden, was sie zuletzt eindrucksvoll mit ihren Gastauftritten in Downton Abbey unter Beweis stellte. Auch als Harriet darf sie aufs Neue wunderbar bissig sein, und dankenswerterweise bekommen ein paar ihrer Partner einige ebenso schlagfertige Antworten in den Mund gelegt. Leider sind diese scharfzüngigen und überaus gelungenen Wortgeplänkel in dem Buch von Stuart Ross Fink zu selten gesät.

Nachrufe sind schwierige Texte, weil sie in wenigen Zeilen ein komplexes und kompliziertes Leben zusammenfassen müssen, dabei viel beschönigen und unter den Teppich kehren, aber auch die Besonderheit des Verstorbenen hervorheben sollen. Harriet hat sowohl Angst vor der Wahrheit als auch davor, als langweilig und nichtssagend zu gelten. Außerdem ist sie unzufrieden mit ihrer Lebensbilanz, zu der ein geflüchteter Ehemann, eine entfremdete Tochter und jede Menge beruflicher Feinde gehören. Gehasst und ungeliebt, möchte wohl niemand als Attribute in seinem Nachruf lesen, und so ist es vor allem die Eitelkeit, die Harriet dazu bewegt, sich zu ändern.

Geschichten über Grantler, die auf ihre alten Tage noch weich und zugänglich werden, gibt es viele, und größtenteils wird auch Harriets Story so erzählt. Auch hier spielt ein Kind – sind es nicht immer die lieben Kleinen, die versteinerte Herzen erweichen? – eine nicht unwesentliche Rolle dabei. Die kleine Brenda (Annjewel Lee Dixon), ein Mädchen aus sozial schwacher Familie, wird von Harriet unter ihre Fittiche genommen, die sich dadurch als leuchtendes Vorbild für die Jugend feiern lassen will. Hier treffen zwei halsstarrige weibliche Wesen aufeinander, was ziemlich witzig ist, worauf dann aber leider nicht mehr viel folgt.

Es ist das größte Problem des Films, dass er zu viel will, zu viele Geschichten anreißt und nur halbherzig zu Ende bringt: Harriet und Brenda, Harriet und Anne, Harriet und ihre Tochter (Anne Heche), Harriet und ihre ehemaligen Kollegen – es gäbe so viel zu erzählen, so viel über das Leben dieser bemerkenswerten Frau zu erfahren, dass es vermutlich für eine Serie reichen würde. Schade, dass so viel davon auf der Strecke bleibt.

Doch nach und nach erfährt man mehr über diese halsstarrige, rechthaberische Frau, die sich in ihrem Berufsleben als Werbefachfrau durchboxen musste und sogar aus ihrer eigenen Firma geschasst wurde. Wäre sie ein Mann, wäre sie vermutlich wie Don Draper …

Erst spät erkennt man, dass es gar nicht so sehr Harriet ist, die sich verändern muss, sondern dass auch Anne und Brenda von ihr etwas über das Leben lernen. Vor allem Anne, von Amanda Seyfried vielleicht ein wenig zu gefällig gespielt, entdeckt durch die ältere Frau, dass sie sich bisher vor dem Leben versteckt hat. Und wenn man noch zu Beginn des Films denkt, dass man einer Frau wie Harriet unter keinen Umständen begegnen möchte, ertappt man sich am Ende, während man eine stille Träne verdrückt, dabei, dass man es schade findet, dass man keinen solchen exzentrischen Charakter in seinem Leben hat, der einem zwar auf die Nerven geht, aber auch dazu bringt, das Beste aus einem herauszuholen. Nörgeln als Motivationstraining sozusagen …

Zu guter Letzt ist was zum Lachen, zum Weinen, zum Träumen und zum Nachdenken – genau der richtige Film für einen angenehmen Abend.

Note: 2

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.