Der Mensch liebt Superlative, vor allem die Amerikaner. Es gibt zwei Kriminalfälle, deren gerichtliche Aufarbeitung als Jahrhundertprozesse in die Justiz- und Geschichtsakten eingegangen sind, der erste drehte sich um die tödlich endende Entführung des Lindbergh-Babys, der zweite um einen Mordprozess gegen eine Football-Legende.
Der Mordfall Simpson liegt mittlerweile gut zwanzig Jahre zurück, aber viele dürften sich noch an ihn erinnern, denn die Bilder gingen damals um die Welt und beherrschten die Nachrichtensendungen und Schlagzeilen. Es war die pure Sensationsberichterstattung, was nicht zuletzt an einigen überraschenden Ereignissen und unerwarteten Wendungen lag. Außerdem war das Urteil höchst umstritten, und die Bedeutung, die man ihm zumaß, hing in erster Linie vom eigenen Standpunkt bzw. der Hautfarbe ab.
Die Serie American Crime Story, die gerade bei Sky läuft und deren erste Staffel The People v. O.J. Simpson betitelt ist, beschäftigt sich mit aufsehenerregenden wahren Verbrechen, weitere Staffeln über die juristischen Folgen nach dem Hurrikan Katrina sowie über die Ermordung Versaces sollen nächstes Jahr folgen, und die Produzenten – unter anderem Ryan Murphy und Brad Falchuk – hätten sich keinen besseren Fall für den Auftakt aussuchen können. Auch die Besetzung kann sich sehen lassen, und wenn ganz am Ende die Bilder der echten Prozessbeteiligten gezeigt werden, ist man von der Ähnlichkeit zwischen ihnen und manchen Darstellern überrascht.
Alles beginnt mit dem spektakulären Fehlurteil gegen die Polizisten im Fall Rodney King Anfang der Neunziger, die trotz der auf Video festgehaltenen Gewaltausbrüche gegen den wehrlosen Afro-Amerikaner freigesprochen wurden. Lang anhaltende Rassenunruhen in Los Angeles und in anderen Städten waren die Folge. Wenn man die Bilder sieht, fühlt man sich unweigerlich an die jüngsten Unruhen nach ähnlichen Fällen in den USA erinnert. Amerikas Auseinandersetzung mit dem Thema alltäglicher und institutionalisierter Rassismus ist also noch lange nicht beendet, sondern aktueller denn je.
Ein paar Jahre später, L.A. hat sich wieder beruhigt, werden Nicole Brown und Ronald Goldman ermordet. Als die Polizei herausfindet, dass die Deutsch-Amerikanerin die Ex-Frau des Football-Stars und Schauspielers O.J. Simpson (Cuba Gooding jr.) ist, die ihren Mann schon häufig wegen häuslicher Gewalt beschuldigt hat, gerät dieser ins Visier der Ermittlungen. An und in seinem Wagen wird das Blut der Opfer entdeckt, das sich auch in seinem Haus und an seiner Kleidung findet. Umgekehrt findet man Spuren von Simpson am Tatort.
Für die Staatsanwältin Marcia Clark (Sarah Paulson) ist das wie ein Geschenk des Himmels: Eine Verurteilung scheint so gut wie sicher. Als man den Hollywoodstar im Haus seines Anwalts Robert Kardashian (David Schwimmer) festnehmen will, ergreift er die Flucht und liefert sich eine spektakuläre, mehrstündige Verfolgungsjagd mit der Polizei, die landesweit im Fernsehen übertragen wird. Afro-Amerikaner säumen die Straßen und feuern ihr Idol, das sie für unschuldig und ein Opfer polizeilicher Willkür halten, mit Plakaten noch an. Von da an ist der Fall ein Politikum und ein Medienereignis.
Als der Prozess beginnt, hat Simpson eine Riege hochkarätiger und narzisstischer Anwälte um sich geschart: Unter der Leitung von Robert Shapiro (John Travolta), dem Anwalt der Stars, ist neben Kardashian vor allem noch der mit allen Wassern gewaschene F. Lee Bailey (Nathan Lane) dabei. Richtig an Fahrt nimmt die Verhandlung jedoch erst auf, als mit Johnnie Cochran (Courtney B. Vance) ein ebenso eitler wie eifriger Verteidiger afro-amerikanischer Bürgerrechte ins Team geholt wird. Zwischen ihm und Shapiro kommt es zu einem teils absurden Machtkampf, vor allem als Cochran die Rassenkarte ausspielt und Simpson zu einem weiteren Opfer staatlicher Willkür und polizeilicher Schikane stilisiert, dem alle belastenden Beweise nur untergeschoben wurden.
Ich muss zugeben, dass ich zuerst skeptisch war, ob ich mir die Staffel überhaupt anschauen soll, schließlich ist es weniger interessant, einem Gerichtsdrama zu folgen, wenn man den Ausgang bereits kennt, doch die zehn Folgen sind durchweg gut und spannend inszeniert. Hier und da gibt es einen kleinen Hänger, aber selbst das wird später zum Thema, wenn die Perspektive sich gegen Ende erneut ein klein wenig verschiebt und das Dilemma der Geschworenen in den Mittelpunkt rückt.
Marcia Clark, die nicht nur von der Verteidigung, sondern auch von der Presse (vor allem wegen ihres Aussehens) hart rangenommen wird, ist dabei der emotionale Mittelpunkt des Geschehens, obwohl sie anfangs recht kühl und reserviert wirkt und auch einige Fehlentscheidungen trifft. Sie beklagt, dass der Prozess zu einem Zirkus wird, die Verteidiger mit unfairen Mitteln kämpfen – tatsächlich gibt es eine Menge Intrigen und fragwürdiger Winkelzüge – und die Opfer dabei in Vergessenheit geraten. Das gilt in gleichem Maße auch für die Serie, nur wird hier auch Simpson selbst schnell in den Hintergrund gedrängt. In erster Linie geht es um die Absurditäten eines Prozesses, der nicht nur im Gericht, sondern auch im Fernsehen und in der Klatschpresse verhandelt wird, der mit immer neuen, unglaublichen Ereignissen aufwartet, die sich kein Drehbuchautor ausdenken könnte, ohne der hemmungslosen Übertreibung beschuldigt zu werden.
So ist die Serie von der ersten bis zur letzten Minute faszinierend, bisweilen spannend und sogar absurd-witzig. Wenn am Ende das Urteil gefällt wird, sieht man anhand der eingestreuten Originalaufnahmen deutlich, welcher Riss durch die amerikanische Bevölkerung damals ging und immer noch geht. Für uns Europäer hat der Prozess hingegen eines deutlich gemacht, die Unzuverlässigkeit und Willkür des amerikanischen Justizsystems.
Wer gute Gerichtsdramen mag und sich für Zeitgeschichte interessiert, sollte The People v. O.J. Simpson auf keinen Fall verpassen.