Roland Emmerich hatte in den vergangenen Jahren kein besonders glückliches Händchen mit seiner Stoffauswahl. Indepedence Day: Wiederkehr war nur ein schwacher Abklatsch des Originals, und auch White House Down, den er davor inszeniert hat, war eher kraftlos denn ein veritabler Action-Knaller. Immerhin machen diese Filme trotz aller Schwächen noch ganz gut Kasse, weshalb es kein Wunder ist, dass er sich in Zukunft verstärkt diesem Genre zuwendet. Schuster bleib bei deinen Leisten, heißt es nicht umsonst.
Doch Emmerich hat auch eine weniger beachtete und von der Kritik häufig geschmähte Arthouse-Seite. Sein Shakespeare-Drama Anonymus hat mir sogar ganz gut gefallen, weshalb ich neugierig war, wie er ein so sensibles Thema wie den Beginn der Schwulenbewegung filmisch umgesetzt hat.
Stonewall
Weil er schwul ist, wird Danny (Jeremy Irvine) von seinen Eltern vor die Tür gesetzt und zieht nach New York. Im Herbst will er ohnehin dort studieren, doch bis dahin muss er noch seinen Abschluss nachholen sowie irgendwie in der Großstadt überleben. Angezogen von der Christopher Street, dem Epizentrum schwulen Lebens in Manhattan, freundet er sich mit dem Stricher Ray (Jonny Beauchamp) und seiner Clique an und verliebt sich in den Aktivisten Trevor (Jonathan Rhys Meyers). Es ist der Sommer 1969, in dem sich die von den Polizisten schikanierten und von der Mafia ausgenutzten schwulen Männer zum ersten Mal zur Wehr setzen.
Warme, satte Farben in Rot- und Orangetönen, tiefe Schatten und Passanten, denen immer ein leichter Schweißfilm auf der Stirn steht – das New York der späten Sechziger sieht aus, als würde permanent die Sonne an einem heißen Sommertag untergehen. Eine traumverlorene, nostalgisch verbrämte Szenerie, die selbst dann noch pittoresk wirkt, wenn es brutal auf den Straßen der Stadt zugeht. Vor allem für die jungen Stricher der Christopher Street ist das Leben ein einziger Überlebenskampf zwischen Obdachlosigkeit, Prostitution und Polizeigewalt.
In diese gewalttätige, exotische Welt stolpert Danny auf der Suche nach sich selbst und einem besseren Leben. Jeremy Irvine spielt diesen Jungen vom Lande, der aus dem Paradies seiner Kindheit vertrieben wurde, weil seine Sexualität nicht den damaligen gesellschaftlichen Normen entspricht, mit einer gewissen unschuldigen Attitüde, aber auch ein wenig abwesend, als würde alles, was ihm zustößt, nicht wirklich ihm passieren. Und obwohl Emmerich durchaus die Schattenseiten zeigt, spart er in seiner Regie die Details ein wenig verschämt aus, wodurch er seine Geschichte ihrer notwendigen Eindringlichkeit beraubt.
Erst zum Ende hin, wenn es zum Aufstand gegen die polizeiliche Willkür kommt, scheint Danny wirklich aufzuwachen und wütend zu werden. Auch in den etwas unmotiviert und willkürlich eingestreuten Rückblenden, in denen erzählt wird, wie seine heimliche Beziehung zu einem Jungen aus seiner Klasse auffliegt und er daraufhin verstoßen wird, schwingt nur wenig Leidenschaft oder auch Drama mit, obwohl die Zutaten dafür reichlich vorhanden wären. Wie so häufig in Roland Emmerichs Filmen sind Gefühle etwas, das der Regisseur nicht so recht zu inszenieren weiß.
Wesentlich mehr Leidenschaft, Wut und hungrige Liebe bringt Jonny Beauchamp als Drag Queen Ray rüber. Seine Sehnsucht nach einem Zuhause, nach jemandem, der ihn liebt und behütet, ist ebenso toll gespielt wie seine überschäumende Lebensfreude.
Neben der rauen, ein bisschen zu verklärt dargestellten Welt der Stricher und Transvestiten gibt es noch die Szene der Aktivisten, zu denen Trevor gehört. Dannys Beziehung zu ihm erscheint viel zu nüchtern und unromantisch, um einen zu berühren, ein bisschen aufgesetzt sogar, als hätte der Autor Jon Robin Baitz versucht, möglichst viele Facetten des schwulen Lebens der späten Sechziger in seinem Buch unterzubringen, ohne ihnen dabei wirklich gerecht zu werden.
Die Geschichte legt großen Wert darauf, dass es die Jungs von der Straße waren, die die ewigen Schikanen der Polizisten, die ständigen Razzien, Verhaftungen und Demütigungen satt hatten, und versucht, ihnen ein filmisches Denkmal zu setzen. Das ist aber nur bedingt gelungen, und das liegt zum einen an der fiktiven Geschichte des Danny, der nicht so recht in die von Außenseitern, häufig Schwarzen und Latinos, geprägte Szene des Stonewall Inn passt, und zum anderen an dem missglückten Versuch, einen Kriminalfall in die Story einzuweben, der zwar auf einen realen Fall zurückgeht, aber völlig unzureichend erzählt wird. Ebenso werden einige andere Hintergrundinformationen, der Tod Judy Garlands etwa oder politische Motive als Ursache der Razzien, zwar eingestreut, aber nicht gekonnt mit den Ereignissen in Verbindung gebracht.
Alles in allem ist es ein recht passables Gesellschaftsdrama über die Anfänge der Schwulenbewegung, das leider etwas zu emotionslos erzählt wird.
Note: 3