Wenn man älter wird, kommt es seltener vor, dass man die Nacht durchmacht, aber für die Oscars bleibe ich ganz gerne auf. Zum Glück war die Veranstaltung so abwechslungsreich und unterhaltsam, dass die Zeit – trotz der nervenden Werbeunterbrechungen und zumeist langweiligen Dankesreden – wie im Flug verging. So politisch wie angekündigt waren die Reden der Stars dann allerdings doch nicht, und richtig große Überraschungen hat es auch so gut wie keine gegeben. Mit einer Ausnahme jedoch, der Verleihung der Trophäe für den besten Film.
Inzwischen hat wohl jeder die bizarren Szenen gesehen, in denen den Produzenten von La La Land die Statuen wieder aus der Hand genommen und an die Kollegen von Moonlight überreicht wurden. Es war wohl ein dummer Fehler, der zu diesem Missverständnis geführt hat, wobei man sich fragen muss, warum Warren Beatty nicht gesagt hat, dass er die falsche Karte bekommen hat – schließlich stand ja Emma Stones Name darauf, es konnte sich also nur um eine Verwechslung handeln. So haben wir wenigstens den Super-Gau einer Preisverleihung live im Fernsehen verfolgen können, und vermutlich kursieren bereits erste Verschwörungstheorien, die besagen, dass doch La La Land gewonnen hat …
Mein Favorit wäre der Film jedenfalls gewesen, eigentlich auch jeder andere der nominierten Produktionen, aber es kam in den letzten Jahren ja häufiger vor, dass der schwächste Film gewonnen hat, weil er gerade perfekt zum Zeitgeschehen passte und die richtige Botschaft transportierte. Im ersten Jahr der Präsidentschaft Trumps durfte es wohl kein eskapistischer Unterhaltungsfilm sein.
Allerdings hätte es auch noch einen weiteren Film gegeben, der zwar in der Vergangenheit angesiedelt ist, aber dessen Botschaft ebenfalls perfekt in die heutige Zeit gepasst hätte. Und auch er wäre der bessere Film gewesen. Aber möglicherweise war er den Academy-Mitgliedern zu konventionell.
Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen
Katherine (Taraji P. Henson) ist eine hochbegabte Mathematikerin, die Anfang der Sechziger bei der NASA arbeitet und unerwartet in die Gruppe jener Wissenschaftler unter Leitung von Al Harrison (Kevin Costner) aufsteigt, die die Berechnungen für einen bemannten Orbitalflug anstellen. Auch ihre Freundinnen und Kolleginnen Dorothy (Octavia Spencer), die eine Gruppe menschlicher, farbiger „Computer“ leitet, und Mary (Janelle Monae), die gerne Ingenieurin werden möchte, leiden unter der täglichen Diskriminierung, der Rassentrennung, die mitunter groteske Züge annimmt, und der Geringschätzung ihrer Arbeit, durch die ihnen der Aufstieg nahezu unmöglich gemacht wird. Doch die drei geben nicht auf und setzen sich mit Beharrlichkeit und Raffinesse für ihre Ziele ein …
Drei Frauen haben auf dem Weg zur Arbeit eine Panne. Ein Polizist kommt hinzu, und sofort fühlen sich die drei unbehaglich. Als sie ihm ihre NASA-Ausweise zeigen, ist er in doppelter Hinsicht überrascht, denn die drei sind nicht nur Frauen, sondern auch noch schwarz.
Diese großartige Eröffnungsszene, mit leichter Hand erzählt und mit einer wunderbaren Pointe aufgelöst, erzählt viel über die drei Heldinnen und die Zeit, in der sie leben. Eine Zeit, in der Farbige in öffentlichen Verkehrsmitteln hinten sitzen müssen, in der sie eigene Wasserspender und Toiletten haben und nicht einmal alle Bücher der städtischen Bibliothek ausleihen dürfen, sondern nur die, die ihnen bewilligt werden. Sogar in der NASA herrscht Rassentrennung, existieren zwei Welten, die sich mit Misstrauen begegnen, und verirrt sich einmal eine Afroamerikanerin in den Bereich der Weißen, wird sie sofort angestarrt. Man begreift sehr schnell, womit Katherine, Dorothy und Mary Tag für Tag zu kämpfen haben, und bewundert ihre Courage und Selbstbeherrschung.
Nur einmal begehrt Katherine gegen diese Ungerechtigkeit auf und sagt Harrison die Meinung, nachdem er sie gerügt hat, weil sie jeden Tag lange Pausen macht – ohne zu wissen, dass sie über einen Kilometer zur nächsten Toilette zurücklegen muss. Daraufhin bestimmt er, dass die Rassentrennung in den Räumen der NASA quasi aufgehoben wird – denn ins Weltall schaffen es nur alle gemeinsam.
Auch das ist eine starke Szene, die zwar nicht ganz so stattgefunden hat, aber perfekt zur Botschaft des Films passt: Trennung, Hass und Misstrauen machen eine Gemeinschaft nur schwächer, große gesellschaftliche Ziele lassen sich nur erreichen, wenn alle zusammenarbeiten. Gerade in Trumps Amerika, das sich täglich zum Schlechteren zu verändern scheint, ist diese Idee wichtiger denn je. Auch heute wird wieder, wenn auch auf andere Art und Weise, über Toiletten diskutiert, als sichtbares Zeichen von Diskriminierung.
Regisseur Theodore Melfi, der zusammen mit Allison Schroeder auch das Drehbuch verfasste, ist ein wunderbarer, warmherziger und eindrucksvoller Film über drei bemerkenswerte Frauen gelungen, die die doppelte Diskriminierung ihrer Zeit überwunden und einen Platz für sich erkämpft haben. Das historische Umfeld fließt in Form von Ausschnitten aus den Nachrichten mit ein, bleibt aber ansonsten leider weitgehend im Hintergrund.
Der Film will weniger aufklären als unterhalten, und das gelingt ihm auf großartige Weise. Von Anfang an fiebert man mit den drei Heldinnen mit und freut sich über jeden ihrer Triumphe. Veränderung scheint möglich, nur dauert sie leider unendlich lange.
Note: 2