Oscars 2016

Kommenden Sonntag ist es wieder so weit: Die Oscars werden verliehen. Veranstaltungen wie diese sehe ich immer ein wenig zwiespältig, denn anders als bei einem sportlichen Wettkampf, bei dem die Leistungen der Teilnehmer objektiv messbar sind, ist es unmöglich, ähnliche Maßstäbe auf künstlerische Leistungen anzuwenden. Wie gut ein Film, eine Schauspielerin oder ein Regisseur sind, liegt also immer im Auge des Betrachters.

Nun stimmen ja mehrere tausend Mitglieder über die Filme ab, doch auch hier gibt es Unterschiede. Manche Studios haben das Geld für aufwändige Kampagnen, andere nicht, weshalb es immer wieder vorkommt, dass tolle Produktionen gar nicht erst berücksichtigt werden. Dann gibt es seit einiger Zeit immer wieder Schmutzkampagnen, um die Konkurrenz auszuschalten, in diesem Jahr hat es Birth of a Nation erwischt, der sehr früh als ein möglicher Favorit galt, bis sein Regisseur wegen Verfehlungen in seiner Vergangenheit demontiert wurde. Was hat das mit dem fertigen Film zu tun? Gar nichts.

Manchmal werden Preise auch vergeben, weil es gerade opportun erscheint, weil man eine bestimmte Haltung belohnen will, weil man ausgewogen sein möchte – vor allem nach der Rassismusdebatte im vergangenen Jahr – oder weil jemand einfach „mal dran“ ist. Letzteres heißt häufig, dass man ihn oder sie in der Vergangenheit übergangen hatte und nun etwas gutmachen möchte. Das ist zwar nett, aber wenn man genauer darüber nachdenkt, auch ein wenig beleidigend.

Man sollte solchen Preisen insgesamt besser keine übermäßige Bedeutung bemessen. Über Geschmack lässt sich sowieso nicht streiten. Sonntag werde ich mir zum ersten Mal seit zwei Jahren die Oscar-Verleihung wieder live anschauen, dabei vermutlich immer wieder verwundert den Kopf schütteln und mich ansonsten hoffentlich gut amüsieren. Hoffentlich sind die Dankesreden heuer nicht so langweilig …

Wer wird in diesem Jahr abräumen? Kann La La Land seinen Siegeszug bei den Golden Globes wiederholen? Immerhin sind 14 Nominierungen rekordverdächtig und der Film ist eine wundervolle Hommage an das alte Hollywood und den Glamour, für den es steht. Oder ist vielen der Film zu eskapistisch in diesen politisch unruhigen Zeiten? Ich wage mich mal an eine Prognose.

Beste Original Musik: Wenn schon mal ein Musical nominiert ist, sollte der Komponist auch gewinnen, also Justin Horwitz für La La Land.

Bester Song: Auch hier sollte La La Land die Nase vorn haben, nur mit welchem Song? Wegen seiner Ohrwurm-Qualität tippe ich auf City of Stars.

Bester Schnitt: Hier habe ich die wenigste Ahnung. Ich fand den Schnitt in Hacksaw Ridge recht beeindruckend, aber das heißt ja nichts. Vermutlich räumt La La Land groß ab und kassiert auch diesen Oscar.

Beste Kostüme: Colleen Atwood ist in der Regel eine sichere Bank, hat allerdings schon drei goldene Jungs im Regal. Ich tippe daher mal ratlos auf Consolata Boyle für Florence Foster Jenkins. Aber ein weiterer Preis für La La Land ist ebenfalls sehr gut möglich.

Beste Ausstattung: Wenn es nach mir ginge, würde jeder Nominierte einen Preis verdienen, aber ich muss mich ja entscheiden: La La Land.

Beste Kamera: Linus Sandgren für La La Land.

Bester animierter Film: Leider habe ich nur einen der nominierten Filme gesehen, daher tippe ich ziemlich ratlos auf Zoomania.

Bester fremdsprachiger Film: Bis vor einigen Wochen hätte ich Toni Erdmann gesagt, aber inzwischen glaube ich, dass es The Salesman wird. Allein schon aus Opposition zu Trumps Politik.

Bestes Original-Drehbuch: Kenneth Lonergan für Manchester by the Sea sollte gewinnen, aber falls Damien Chazelle nicht für seine Regie ausgezeichnet wird, hätte er eine Chance.

Beste Drehbuch-Adaption: Schwierig, wenn man die Vorlagen nicht kennt. Vermutlich wird es Moonlight sein, obwohl es das mit Abstand schwächste Drehbuch war.

Beste Nebendarstellerin: Nach drei Nominierungen sollte Viola Davis (Fences) endlich an der Reihe sein.

Bester Nebendarsteller: Mahershala Ali gilt als Favorit und wird es wohl auch werden.

Beste Hauptdarstellerin: Schwierig. Natalie Portman sollte es werden, weil sie in Jackie einfach phänomenal war. Aber wir alle lieben Emma Stone in La La Land, weshalb ich schätze, dass sie gewinnen wird. Isabelle Huppert würde mich aber auch nicht überraschen.

Bester Hauptdarsteller: Andrew Garfield (Hacksaw Ridge) hätte ihn wirklich verdient, weil er seit Jahren herausragende Leistungen zeigt, aber es wird vermutlich Denzel Washington (Fences).

Beste Regie: Damien Chazelle.

Bester Film: La La Land.

Meiner Schätzung nach gibt es mit La La Land einen haushohen Favoriten, der auch fast alle Preise abräumen wird. Fences würde immerhin noch zwei wichtige Schauspielpreise einheimsen, und auch Moonlight würde zweifach ausgezeichnet werden. Wenn ich recht liege, werden wir Sonntagnach also sehr oft die Titelmelodie von La La Land hören und mit einem Ohrwurm einschlafen – es sei denn, es gibt die eine oder andere große Überraschung …

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.