In den Neunzigerjahren wurden die Plattenaufnahmen von Florence Foster Jenkins digitalisiert und als CD herausgegeben. Ich weiß nicht mehr, wie ich darauf stieß, vermutlich habe ich eine Kritik in einer Zeitschrift gelesen – in der analogen Steinzeit informierte man sich ja auf diese altmodische Weise über Neuerscheinungen in den Medien. Damals studierte ich an der Filmakademie Baden-Württemberg, hatte gerade meinen zweiten Kurzfilm abgedreht und suchte nach einem schrägen Soundtrack für eine schräge Komödie. Jenkinsʹ Version der Arie Der Hölle Rache aus Mozarts Die Zauberflöte passte dazu einfach perfekt – und erregte weit mehr Aufmerksamkeit als der Film selbst …
Jeder wollte wissen, wer diese unglaublich schlechte Sängerin ist, die kaum einen Ton trifft und klingt wie ein misshandelter Hund oder eine verstimmte Katze. Wer die Aufnahmen hört, kann sich kaum das Lachen verkneifen, und vielleicht rührt die Bewunderung für Jenkins ja gerade daher, dass sie ihre Koloraturen genauso atonal vorträgt wie jeder ihrer Hörer es tun würde, sich aber dennoch nicht davon abbringen lässt, sie öffentlich darzubieten. Man lacht, weil Opernarien für das ungeschulte Ohr grundsätzlich affektiert und ein wenig befremdlich klingen und Jenkinsʹ Darbietung etwas Parodistisches hat – und bewundert zugleich ihren Mut, sich der Lächerlichkeit auszusetzen.
Über Florence Foster Jenkins wusste ich nicht viel, nur dass sie eine New Yorker High Society-Größe war und zu den großen Exzentrikern des 20. Jahrhunderts zählte – eine Spezies, die heute leider nahezu ausgestorben ist. Bekannt sind viele Anekdoten, die man sich seinerzeit über sie erzählte, wie jene, in der sie einen Taxifahrer, der sie in einem Autounfall verletzte, nicht verklagt, sondern ihn mit einem hübschen Sümmchen belohnt hat, weil ihre Stimme seither eine bestimmte Note besser traf. Einige dieser Anekdoten sind auch in das Bio-Pic von Stephen Frears eingegangen.
Florence Foster Jenkins
Florence Foster Jenkins (Meryl Streep) ist berühmt für ihre großzügige Unterstützung der klassischen New Yorker Musikszene – und ihre eigenen Auftritte, in denen sie in fantasievollen Kostümen die High Society mit kleinen Gesangsdarbietungen erfreut. Dass Florence gar nicht singen kann, fällt dabei kaum ins Gewicht, denn ihre Freunde lieben sie für ihre Großzügigkeit und ihren Enthusiasmus. Ihr Mann St. Clair (Hugh Grant) vergöttert sie und liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab, ihre Ehe leidet aber auch unter der Tatsache, dass Florence von ihrem ersten Mann mit nur achtzehn Jahren mit Syphilis angesteckt wurde und seit einem halben Jahrhundert im Schatten des Todes lebt. Als Krönung ihres „Lebenswerks“ strebt sie ein Konzert in der Carnegie Hall an, und engagiert für die Vorbereitungen den empfindsamen Pianisten Cosmé Moon (Simon Helberg). Für alle drei wird es das Abenteuer ihres Lebens …
Diese Story könnte sich kein Drehbuchautor ausdenken, ohne sich der Unglaubwürdigkeit bezichtigen lassen zu müssen, was einmal mehr die Binsenwahrheit bestätigt, dass die tollsten Geschichten das Leben selbst schreibt. Meryl Streep spielt Florence Foster Jenkins mit so vitaler Leidenschaft und Freude, dass man ihr auch nur dabei zuschauen könnte, wie sie aus dem New Yorker Gesellschaftskalender vorliest. Überspitzt gesagt: Viel mehr passiert auch nicht.
Man lernt den Alltag von Florence gut kennen, es ist der übliche Müßiggang der oberen Zehntausend, wie ihn auch Edith Wharton in ihren Romanen jener Zeit beschrieben hat. St. Clair hat mit dem beträchtlichen Vermögen seiner Gemahlin einen schützenden Kokon um sie geschaffen, in dem die Hässlichkeit und das Profane der Außenwelt keinen Platz haben. Florence lebt einen schönen Traum und dazu gehört auch der Glaube an die Einzigartigkeit ihrer Stimme, die von wohlmeinenden und gutbezahlten Lehrern noch bestärkt wird. Auch Cosmé, den Helberg köstlich als zappelndes Nervenbündel porträtiert, ist zunächst außerordentlich irritiert, als er seine Gönnerin das erste Mal singen hört, was in einer urkomischen und grotesken Szene kunstvoll auf die Spitze getrieben wird. Doch auch er bringt es nicht über sich, diese warmherzige und liebevolle Frau mit der schnöden Wahrheit zu belästigen.
Die Story ist dünn, sie reiht einige Episoden aneinander, lässt ein paar skurrile Figuren Revue passieren, von denen vor allem Nina Arianda, die schon in Goliath großartig war, als vulgäre Gattin eines neureichen Fabrikanten glänzt, und gipfelt in dem legendären Konzert in der Carnegie Hall, das den Höhe- und Schlusspunkt in der bizarren Karriere von Florence Foster Jenkins darstellt.
Der Film ist aber nicht nur eine wunderbare, schräge Komödie im Stil eines Kammerspiels, sondern beinhaltet auch einen tragischen Kern – und eine zärtliche Liebesgeschichte. Streep und Grant agieren wunderbar als altes Ehepaar, dessen Liebe platonischer Art bleiben muss. In ihrer Zuneigung wirken sie absolut authentisch und setzen somit einen emotionalen Gegenpol zu all den schrägen Gestalten und wundersamen Auftritten, durch sie bekommt diese Komödie etwas, das viele andere Genrestücke in letzter Zeit schmerzlich vermissen lassen: Herz.
Note: 2