Auch der dritte und letzte Film unseres diesjährigen Neujahrs-Marathon stammt aus den Siebzigern und erlangte in den Folgejahren Kultstatus – nachdem er zunächst vom Publikum mit Missachtung gestraft wurde. Als ich Harold und Maude das erste Mal sah, es war in der ersten Hälfte der Neunziger, fand ich ihn relativ langatmig und bisweilen sogar langweilig. Doch manchmal erwischt einen ein Film ja gewissermaßen auf dem falschen Fuß …
Harold und Maude
Der zwanzigjährige Harold (Bud Cort) geht gerne auf Beerdigungen und findet ansonsten Freude daran, seinen vermeintlichen Selbstmord zu arrangieren, um eine emotionale Reaktion seiner schwerreichen, oberflächlichen Mutter (Vivian Pickles) zu provozieren. Die nimmt ihn nach mehr als einem Dutzend dieser Aufführungen nicht mehr ernst und versucht zuerst, ihn mittels eines Eheanbahnungsinstituts zu verkuppeln, und dann von ihrem Schwager, General Ball (Charles Tyner), zum Kriegsdienst einziehen zu lassen. Eines Tages lernt Harold jedoch die exzentrische Maude (Ruth Gordon) kennen, eine achtzigjährige Holocaust-Überlebende, die das Leben in vollen Zügen genießt, Autos stiehlt und sich mit der Polizei anlegt. Durch sie findet er endlich Geschmack am Leben.
Ein junger Mann, der sich in eine wesentlich ältere Frau verliebt, die seine Großmutter sein könnte, ist selbst für die heutige Zeit eine ungewöhnliche Paarung. Anfang der Siebziger war die Filmidee ein Skandal, was unter anderem dazu führte, dass eine geplante Sexszene gar nicht erst gedreht werden konnte.
Die Siebzigerjahre waren ein Experimentierfeld, in der die gesellschaftlichen Entwicklungen der späten Sechziger Einzug auf die große Leinwand hielten. Tabubrüche gehörten dazu, und in diesem Fall gibt es noch einen weiteren: den eher lockeren Umgang mit dem Tod. Harolds Todessehnsucht wird amüsant aufgearbeitet, und die Szenen mit seiner Mutter gehören zu den Highlights des Films, wohingegen man aus seinen Sitzungen beim Psychiater viel mehr hätte machen können.
Harold ist ein verwöhntes, vom Leben gelangweiltes Kind, das auch mit zwanzig wie ein Zwölfjähriger aussieht. Leider findet man im Verlauf der Geschichte keinen richtigen Zugang zu ihm, man kann seine Rebellion gegen Mutter und gesellschaftliche Konventionen bis zu einem gewissen Punkt zwar nachvollziehen, aber darüber hinaus bleibt er ein unbeschriebenes Blatt. Angesichts des Reichtums seiner Familie scheint er nicht arbeiten zu müssen, aber auch nicht zu wissen, was er mit sich und seiner Zeit anfangen soll, weshalb man sich unwillkürlich fragt, warum er nicht studiert, einen Beruf erlernt oder sich wenigstens als Playboy versucht. Womit er seine Zeit vertreibt, abgesehen davon, dass er sich neue Selbstmordszenarien ausdenkt, erfährt man nicht.
Im Gegensatz dazu ist Maude eine der schillerndsten Figuren der Filmgeschichte, eine im positivsten Sinne verrückte Alte, die das Leben bis zur Neige auskostet und jede Minute davon genießt. Sie wirkt süß, unschuldig und harmlos, hat es aber faustdick hinter den Ohren, stiehlt selbst das Auto des Pfarrers und das Motorrad eines Polizisten und spricht so freimütig von ihrem selbstgewählten Tod, als plante sie eine Mittelmeerkreuzfahrt. Ihre düstere Vergangenheit wird hingegen nur sehr beiläufig thematisiert, es ist etwas, das sie überwunden und das sie geprägt und zu dem unkonventionellen Menschen gemacht hat, der sie ist, aber nichts, was sie immer noch beschäftigt. Nicht nur Harold kann viel von Maude und ihrer Einstellung, vollkommen im Hier und Jetzt zu leben, lernen.
Trotz seines gemächlichen Tempos und seiner recht episodischen, man kann auch sagen: dürftigen Handlung hat der Film viele interessante und unvergessliche Momente, die durch die Musik von Cat Stevens noch verstärkt werden. Viele seiner Aussagen über den Wert des und die Liebe zum Leben wirken auch Jahrzehnte nach der Entstehung noch aktuell. Kein Wunder, dass der Film zu einem zeitlosen Klassiker geworden ist.
Note: 3+