Goliath

Herbstzeit ist in den USA gleichzeitig auch Serienzeit, denn in September und Oktober starten die Fernsehsender ihre neuen Produktionen, für die sie riesige Werbetafeln mieten. Auf unseren Fahrten durch L.A. wurde vor allem für Falling Water, Berlin Station und Goliath geworben, zumindest sind mir diese Plakate durch ihre Häufigkeit besonders aufgefallen. Bis die ersten beiden bei uns laufen, wird es vermutlich noch eine Weile dauern, letztere ist allerdings eine Amazon-Serie und damit auch bereits jetzt in Deutschland zu sehen.

David E. Kelley war um die Jahrtausendwende herum einer der bekanntesten und besten Serienschöpfer und –produzenten Hollywoods. Aus seiner Feder stammten u.a. Picket Fences, The Practice und natürlich die Kultserie Ally McBeal. Letztere waren Anwaltsserien, die eine eher düster im Ton, die andere eine bisweilen recht schrille Komödie. Nun meldet sich Kelley mit einer weiteren Serie aus dem Justizmilieu zurück, die er gemeinsam mit Jonathan Shapiro kreiert hat.

Billy Bob Thornton spielt Billy McBride, einen ehemaligen Staranwalt, der aus seiner lukrativen und mächtigen Kanzlei ausgestiegen ist und sich nun mit kleineren Fällen herumschlägt. Die meiste Zeit sitzt er allerdings in einer Bar, um sich zu betrinken. Eines Tages spricht ihn seine Kollegin Patty Solis-Papagian (Nina Arianda) an, um ihn zur Mitarbeit an einem interessanten Fall zu bewegen: Ein Ingenieur starb bei einer Explosion auf einem Boot, angeblich ein Selbstmord, doch davon ist seine Schwester Rachel (Ever Carradine) nicht überzeugt. Die Rüstungsfirma, für die er arbeitete und der das Boot gehörte, verweigert wichtige Informationen, und alles wirkt ziemlich verdächtig. McBride übernimmt den Fall eher widerwillig, sieht dann jedoch darin auch eine Chance, mit seiner alten Kanzlei und seinem ehemaligen Partner Cooperman (William Hurt) abzurechnen, die genau jene Rüstungsfirma vertreten …

Die Grundidee ist nur mäßig interessant. Abgehalfterte, desillusionierte Helden, die mit ihrer Alkoholsucht kämpfen, gibt es fast ebenso viele wie Anwaltsserien, und der Kampf eines Davids gegen Goliath, der sich ja schon im Titel andeutet, ist zwar vielversprechend, doch auch nicht gerade originell. Zudem wird alles noch in einem sehr gemächlichen Tempo erzählt, dass man in den ersten beiden Folgen schon eine gehörige Portion Geduld aufbringen muss, um am Ball zu bleiben.

Die Serie unterscheidet sich bisweilen stark von den anderen Kelley-Produktionen. Die Ungerechtigkeit des Justizsystems an sich wird weniger stark herausgestrichen, die schrillen Figuren und flotten, pointierten Dialoge, für die Kelley berühmt ist, sucht man leider auch vergeblich. Doch mit der Zeit entdeckt man die zunächst verborgenen Qualitäten der Serie. Die Figuren wachsen einem immer stärker ans Herz, einige besitzen zumindest leicht exzentrische Seiten, und Billy Bob Thornton spielt seine Rolle ausgezeichnet. Sogar die Bösewichter bekommen noch hier und da menschliche Seiten. Der Humor kommt insgesamt zwar zu kurz, aber es gibt dennoch einige herrlich absurde Szenen, bei denen man laut lachen kann.

Das Beste ist jedoch, dass die Spannung von Folge zu Folge zunimmt. Am Ende der zweiten Episode wirbelt ein unverhofftes Ereignis alles durcheinander, und von da an entwickelt die Serie einen immer stärkeren Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Das Finale besitzt vielleicht nicht die dramatische Wucht, die man sich anfangs erhofft hat, ist aber in jeder Hinsicht zufriedenstellend.

Insgesamt eine rundherum gelungene Serie, auf deren zweite Staffel man sich freuen darf.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.