Im Augenblick scheint die ganze Welt verrückt zu spielen, und die Nachrichten anzuschauen ist manchmal unerträglich. Dabei können wir uns hierzulande noch glücklich schätzen, dass wir überhaupt die Möglichkeit dazu haben. Als wir in den USA waren und wegen der Präsidentschaftswahlen sehr viel CNN geschaut haben, ist mir aufgefallen, dass der Kanal keine einzige Nachrichtensendung mehr im Programm hat. Für einen ausgewiesenen Nachrichtensender ist das schon bemerkenswert. Aktuelle Ereignisse werden nur in einem Laufband eingeblendet, das die meisten ohnehin nicht lesen.
Man sollte sich daher nicht wundern, wenn sich ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung ausschließlich über die sozialen Medien über das Geschehen in der Welt informiert – Falschinformationen inklusive. Und man sollte sich auch nicht wundern, wenn amerikanische Schüler und Studenten die einfachsten politischen oder geografischen Fragen nicht beantworten können. Diese Clips tauchen gerade bei Facebook immer häufiger auf, und es ist auch wahnsinnig komisch, wenn jemand auf die Frage, welches das größte Land Südamerikas sei, mit Afrika antwortet. Aber angesichts dessen, was in den USA gerade passiert, bleibt einem das Lachen eher im Halse stecken.
Passend dazu folgt die Kritik zu einem Film, der sich mit dem Niedergang des Journalismus und einer sensationsgeilen Nation auseinandersetzt:
Nightcrawler – Die Nacht hat ihren Preis
Louis Bloom (Jake Gyllenhaal) schlägt sich als Gelegenheitsdieb durch, immer auf der Suche nach dem perfekten Job, um eine große Karriere zu starten. Als er zufällig mitbekommt, dass man mit Videos von Unfallopfern und urbanen Katastrophen gutes Geld verdienen kann, besorgt er sich eine Kamera und macht sich an die Arbeit. Da er fleißig ist, unglaublich ehrgeizig und ohne jeden Skrupel, kann er schon bald die ersten Erfolge erzielen. Die Nachrichtenchefin eines Senders (Rene Russo) wird seine beste Kundin, weil auch sie für die Quote alles tun würde, und gemeinsam brechen sie bald jedes Tabu im Fernsehen …
Schon in den Zwanzigerjahren, als es in den USA durch die Prohibition zu einem massenhaften Anstieg der Gewalt kam und Gangster wie Al Capone die Städte unsicher machten, blühte das Geschäft der Sensationsreporter. Fotos von Tatorten und Leichen waren an der Tagesordnung, und auch damals schon wurden manche Aufnahmen arrangiert, um eine drastischere Wirkung zu erzielen. Nicht nur Sex, auch Mord lässt sich eben gut verkaufen.
Billy Wilder drehte 1951 dann Reporter des Satans, eine Story über einen Sensationsreporter, der das Leben eines Verunglückten riskiert, um mit seiner Geschichte groß rauszukommen. Im Gegensatz zu der von Kirk Douglas gespielten Hauptfigur in dem Film hat Jake Gyllenhaals Louis Bloom keinerlei Gewissen, er ist ein klassischer Psychopath, der buchstäblich über Leichen geht, um sein Ziel zu erreichen. Das macht es von Anfang an schwierig, sich für ihn zu erwärmen, zumal es auch sonst keinerlei sympathische Figur gibt, die ihm entgegengesetzt würde.
Das völlige Fehlen eines aufrichtigen Charakters, mit dem man sich identifizieren könnte, ist dann auch das größte Problem des Films. Ohne moralische Richtschnur, ohne Gegengewicht und Gegenentwurf, bleibt nur das Bild einer verkommenen, sensationsgeilen Welt, die von egoistischen Menschen bevölkert wird, für die nur die Karriere zählt. Denn auch Rene Russos Figur ist von Ehrgeiz zerfressen und akzeptiert jede Demütigung, ohne mit der Wimper zu zucken. Einzig ein von Kevin Rahm gespielter Kollege darf hin und wieder das Wort Ethik einwerfen, aber nur halbherzig und ohne jede Auswirkung. Diese Gleichgültigkeit und Rückgratlosigkeit des Umfelds, das sich von Louis so plump erpressen und manipulieren lässt und die verinnerlichten moralischen Werte über Bord wirft, erschreckt einen beim Zusehen ebenso sehr wie die Verrohung des Journalismus, den Bloom verkörpert.
Der Film macht vieles richtig und legt auch den Finger auf die Wunde. Er beschreibt eine düstere, nachtdunkle Welt, die faszinierend und abstoßend zugleich ist. Los Angeles wirkt wie ein kalter, einsamer Ort ohne Mitgefühl, eine entmenschlichte Stadt, in der weder Menschenleben noch Moral noch Wahrheit etwas zählen. Das alles ist gut beschrieben und solide inszeniert, in der Summe aber doch ein bisschen wenig. In Aaron Sorkins großartiger Serie The Newsroom ging es auch um die Niederungen des modernen Journalismus, aber immer wurde gleichzeitig auch aufgezeigt, wie das Gegenteil auszusehen hat. In Dan Gilroys Nightcrawler scheint es, hat die Nachrichtenwelt bereits kapituliert und sich dem Wahn der Quote ergeben. Was dabei verloren gegangen ist, wird leider nicht richtig deutlich.
Jake Gyllenhaal spielt den Protagonisten mit einer Kraft und Entschlossenheit, die geradezu unheimlich ist. Es scheint ein dunkles Leuchten von ihm auszugehen, das diese Figur zu einer der unheimlichsten der letzten Jahre macht. Allein seinetwegen lohnt es sich, den Film zu sehen.
Note: 2-