Am Samstag waren wir zunächst etwas unentschlossen, was wir unternehmen sollten, und da wir viel Gutes über Moonlight gehört hatten, einen Independent-Film, der als heißer Anwärter auf diverse Oscar-Nominierungen gehandelt wird, dachten wir uns, wir sollten ihn uns vielleicht einmal ansehen. Dass er irgendwann in Deutschland starten wird, ist eher ausgeschlossen, also wann, wenn nicht jetzt? Zumal der imdB-Wert sagenhafte 8,7 beträgt.
Das am nächsten liegende Kino, das ihn spielte, lag in Downtown, das immer einen Abstecher wert ist. Leider gab es in der Nähe nur wenige Parkplätze, so dass wir in das Parkhaus des Staples Centers fuhren, das immerhin verbilligtes Parken für Kinobesucher anbietet. Nach dem Film hatten wir jedoch noch Lust auf salvadorianische Pupusas bei Sarita’s im Grand Central Market, weshalb wir uns zu Fuß auf den Weg dorthin machten.
Ein Spaziergang durch Downtown ist wie ein Marsch durch New York City: Etliche Wolkenkratzer säumen die Straßen – und es werden jedes Jahr neue errichtet – und die übrigen Gebäude sind alt, teilweise ganz schön heruntergekommen, aber voller Charme. Ein wenig erinnert die Architektur an die Art Déco-Bauten in Miami, und das Wetter und die Palmen passen ebenfalls ganz gut dazu. Ganz Downtown ist seit Jahren im Wandel begriffen, einige Straßen befinden sich bereits fest in der Hand von Hipstern und Touristen, die anderen eher in denen von Obdachlosen, deren Zahl von Jahr zu Jahr ebenfalls zunimmt. Dazwischen tummeln sich jede Menge schräge Gestalten, wie man sie auch in New York zu sehen bekommt. Am Samstag waren es vor allem Straßenprediger, die den nahen Weltuntergang verkündeten, und gleich zwei Gruppen afrikanischer Priester, die, in liturgische Gewänder gehüllt, Plakate hochhielten und lauthals jeden Weißen zum wandelnden Teufel erklärten. Wir beschleunigten entsprechend unsere Schritte in ihrer Nähe, und ein argloser asiatischer Tourist, der ein Foto von ihnen machen wollte, wurde gleich angemeckert. Nicht gerade sehr christlich, ihr Verhalten …
Schäbige Ramschläden wechseln sich mit Modegeschäften für Latinos ab, in denen üppige (und ziemlich kitschige) Kleider für die Quinceañera ausgestellt sind – so wird der 15. Geburtstag der Mädchen genannt, die damit offiziell in die Reihen der Frauen aufgenommen werden. Dazwischen findet man auch immer mehr schicke Cafés oder Designerläden, die zu der spannenden Mischung beitragen, zum Beispiel die Westküstendependance eines Berliner Brillen-Labels.
Als wir zu unserem Parkhaus zurückkehrten, bekamen wir den nächsten Beweis für die Aufwertung des Viertels: Die Gebühren betrugen schlappe 27 Dollar. Nun ja, dies ist eben Downtown (wobei es auch preiswertere Parkplätze gibt, wenn man ein bisschen sucht).
Moonlight
Chiron (gespielt von Alex. R. Hibbert, Ashton Sanders und Trevante Rhodes) wächst als Sohn einer drogensüchtigen Mutter (Naomie Harris) in Miami heran. In der Schule wird er ständig gehänselt und gemobbt; der einzige, der nett zu ihm ist, ist Kevin (Jaden Piner, Jharrel Jerome und André Holland). Mit neun Jahren lernt er den Drogenhändler Juan (Mahershala Ali) kennen, der sich um den vernachlässigten Jungen kümmert und ihm ein zweites Zuhause bietet. Sieben Jahre später gerät Chirons Leben völlig durcheinander, als er entdeckt, dass er sich zu Kevin hingezogen fühlt, und gleichzeitig gegen seine Peiniger aufzubegehren versucht, was in einer Katastrophe endet. Weitere zehn Jahre später treffen sich Chiron und Kevin wieder …
Mit all den Vorschusslorbeeren, den guten Kritiken und Zuschaubewertungen im Hinterkopf sind die Erwartungen an den von Brad Pitt produzierten Film natürlich hoch, und über weite Strecken funktioniert er auch ziemlich gut. Die Darsteller sind hervorragend, es gibt einige rührende Szenen, vor allem im ersten Drittel, in dem der junge Chiron nach einem Vaterersatz sucht und dabei ausgerechnet an den Drogendealer seiner Mutter gerät, der durch das Kind direkt mit den zerstörerischen Auswirkungen seines Tuns konfrontiert wird. Für den Anfang ist das nicht schlecht, nur kommt danach leider nicht mehr allzu viel.
Das zweite Drittel wiederholt im Prinzip nur die Situation aus der Kindheit, es gibt mehr Mobbing von denselben Leuten, die Auseinandersetzungen mit der Mutter werden hässlicher, und Chiron ist einsamer denn je. Seine Verunsicherung bezüglich seiner Sexualität spielt lediglich in einer Szene eine Rolle und wird in keiner Weise dramatisiert. Durch die thematische Wiederholung erscheint es, als würde einem die Figur erneut vorgestellt werden, und die Handlung endet mit einem emotionalen Höhepunkt, nach dem die Story eigentlich losgehen könnte – nur bricht sie an diesem Punkt abrupt ab und setzt erst zehn Jahre später wieder ein. Und wieder erscheint dieser Abschnitt der Handlung wie der Beginn eines neuen Films – was beim dritten Mal reichlich ermüdend ist.
Das letzte Drittel ist außerdem das schwächste. Es dauert ein paar Minuten, bis man halbwegs den Werdegang Chirons in den Jahren seit seiner Schulzeit nachvollzogen und seine Überraschung über seine Wandlung verdaut hat. Danach passiert nicht mehr viel, er trifft erneut auf seine Mutter und arbeitet seine Kindheit auf, und auch seine Begegnung mit Kevin verläuft sehr unspektakulär, geradezu nichtssagend, bis die Story erneut auf ihrem emotionalen Höhepunkt abbricht.
Es gibt zwar einige gute Ansätze für Konflikte, die aber nicht richtig zum Tragen kommen. Die Kamera umkreist die Darsteller häufig wie ein hungriger Löwe, doch der Zuschauer kommt ihnen emotional nicht wirklich nahe. Die Erzählweise ist engagiert, aber seltsam leidenschaftslos, beinahe schon unaufgeregt dokumentarisch. So kratzt Autor und Regisseur Barry Jenkins bestenfalls an der Oberfläche, die Figuren bleiben einem fremd und letzten Endes sogar gleichgültig. Ob das für eine Oscarnominierung reicht, bleibt abzuwarten. Vorstellen kann ich es mir eigentlich nicht.
Note: 3-