Der kürzeste Winter aller Zeiten

Am Montag war Winter. Zumindest für kalifornische Verhältnisse, denn in der Nacht gingen gleich zwei Gewitter mit heftigen Regengüssen nieder. Während sich alle anderen über die Niederschläge gefreut haben, dachten wir, dass es ein bisschen wie ein Vorgeschmack auf das schlechte Wetter in Deutschland ist, das uns nach unserer Rückkehr erwartet. Andererseits war es nicht weiter schlimm, da wir ohnehin arbeiten mussten.

Nachdem ich vor ein paar Tagen gesagt hatte, dass ich auch noch nie Hot Dogs gegessen habe, gab es welche zum Lunch. Natürlich ist der Unterschied zu einem deutschen Würstchen, das man zwischen zwei Brötchenhälften klemmt, nicht so riesig, aber geschmeckt hat es trotzdem. Vor allem das Relish, jene feinwürfelige grüne Gewürzmasse, die an Dillgurken erinnert, hat es mir angetan.

Am Abend haben wir uns noch die erste Folge der neuen Staffel von The Walking Dead angeschaut, damit war der erste Tag der Woche auch schon wieder Geschichte. Die Zeit vergeht viel zu schnell.

Am Dienstag kehrte der Spätsommer mit Sonnenschein und gut fünfundzwanzig Grad zurück. Wenn nur unsere Winter auch so kurz wären …

Eine Freundin hatte uns am Wochenende so sehr von einer Eisdiele in Cerritos vorgeschwärmt, dass wir Lust hatten, einen kleinen Ausflug dorthin zu unternehmen. In Los Angeles wird man sehr schnell Amerikaner, was die Entfernungen betrifft, denn dass das Lokal eine halbe Autostunde entfernt lag, kam uns nicht einmal übermäßig weit vor.

Afters heißt der Laden, der angeblich sein Eis in einem Donut serviert, so dass man mit einer Mahlzeit locker den Kalorienbedarf einer Woche erreichen kann. Als wir hineingingen, musste ich unwillkürlich an Dante denken: Ihr, die ihr eintretet, lasst alle Diätpläne fahren. Ganz so stand es dort über der Tür zwar nicht, sinngemäß aber schon.

Die Auswahl ist für amerikanische Verhältnisse weder besonders groß noch exotisch, das hatte immerhin den Vorteil, dass man sich schneller entscheiden konnte. Und probieren durfte man natürlich auch – wo gibt es das in Deutschland? Wir entschieden uns für Peanut und Cookie Butter bzw. Banane-Walnuss und dreifach Schokolade. Beides eine exzellente Wahl; man kann sagen, dass dies das beste Eis war, das ich je in den USA gekostet habe, das aber lange nicht an das gute italienische Eis heranragt, nicht einmal an das in Deutschland. Dennoch hat sich der Ausflug allein deshalb schon gelohnt.

Auf dem Weg zur der Mall, in der sich das Lokal befindet, fiel uns ein Restaurant auf, das mit einem riesigen Banner auf seine Neueröffnung hinwies und himalayaische Küche anbot. Da wir uns nicht so recht etwas darunter vorstellen konnten, entschlossen wir uns, dort unseren Lunch einzunehmen.

Wir waren die einzigen Gäste. Der Saal war riesig und voller festlich gedeckter Tische, aber außer uns war niemand zu sehen. Später kam noch ein Stammgast vorbei, blieb aber nicht sehr lange. Ein bisschen unbehaglich fühlt man sich in einer solchen Situation schon, vor allem aber fragt man sich, ob der Besuchermangel möglicherweise mit der Qualität des Essens zusammenhängt. Immerhin waren die beiden weiblichen Bedienungen unglaublich nett und bedankten sich sogar jedes Mal dafür bei uns, dass wir uns für eine Handreichung bedankten.

Als Vorspeise für unser nepalesisches Menü wählten wir eine Yak-Suppe, die ziemlich scharf und sehr schmackhaft war. Wir hatten vor Jahren schon einmal Yak gegessen, das an Rindfleisch erinnerte, allerdings weniger zäh war. Ein bisschen kam es mir vor, als hätte das arme Tier mehrmals den Himalaya überquert, bevor es im Topf landete. Das Hauptgericht wurde auf einem Tablett mit mehreren Mulden wie in einem Krankenhaus oder einer Kantine serviert. Für ein Restaurant etwas ungewöhnlich, aber entscheidet ist ja, wie das Essen schmeckt. Und alle Speisen waren durchweg vorzüglich. Für neun Dollar bekamen wir Reis mit einem Linsencurry, scharf gewürztes Ziegenfleisch, ein Tofu-Gericht sowie Salat und etwas, das an Joghurt mit Karottenraspeln erinnerte und äußerst willkommen war, um die Schärfe zu mildern. Unsere Bedienung hatte uns vorher noch gefragt, welchen Schärfegrad auf einer Skala von eins bis zehn wir wählen möchten, und wir hatten uns für eine Sechs entscheiden, weil wir glaubten, durch die diversen mexikanischen Gerichte abgehärtet zu sein. Nun, sagen wir mal, eine Vier oder Fünf hätte vermutlich auch gereicht …

Das einzige, was nicht perfekt an dem Essen war, war die Ziege, die mit Knochen serviert wurde und wie das Yak ein wenig zu zäh war. Das nächste Mal werde ich wohl das tibetische Menü wählen, zu dem etwas mit dem exotischen Namen Momo (oder so ähnlich) gehört und das eine Art von Kloß zu sein scheint. Es war auf jeden Fall sehr lecker, und wir haben uns auch eine Weile mit den Bedienungen unterhalten und so erfahren, dass das Lokal bereits vor über einem Jahr eröffnet hat – so viel zu dem Banner über der Tür. Beide Frauen hatten übrigens entweder Verwandte in Deutschland, die ein indisches Restaurant betreiben, oder waren schon einmal dort gewesen. Die Welt wird tatsächlich immer kleiner …

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2016 von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.