Auch der Donnerstag begann sonnig, aber nicht zu heiß, und die Massen strömten weiterhin in die Stadt, die am Wochenende wahrscheinlich aus allen Nähten platzen wird. Nachdem wir in den letzten Tagen viel zu Fuß unterwegs waren und im Schnitt täglich 12 km zurückgelegt haben, wollten wir es heute etwas gemächlicher angehen lassen und blieben in der Nähe unseres Hotels bzw. des Pools.
Im Augenblick ist der südliche Teil des Strips noch der Nabel der Stadt, ein Gebiet, das spätestens mit der Fertigstellung des City Centers eine massive Aufwertung erfahren hat. Zu den hier angesiedelten Hotels gehört das Cosmopolitan, in dem sich unser Lieblingsbüffet befindet: das Wicked Spoon. Wir waren in den letzten Jahren schon häufiger hier, und nachdem wir die wichtigsten und angeblich besten Büffets getestet haben, die in den diversen Rankings auftauchen, kann man getrost sagen: Es ist das einzige, das sich wirklich lohnt. Der Preis ist zwar relativ hoch, dafür bekommt man hier vieles geboten, das man woanders nicht findet, dazu in kleinen und kleinsten Probierportionen, die ausnehmend hübsch angerichtet sind, und vor allem auch angemessen gewürzt. Viele andere Köche scheinen außer Salz und Pfeffer keine Gewürze zu kennen, und selbst mit diesen gehen sie sehr sparsam um. Im Wicked Spoon ist alles eine Spur schmackhafter und raffinierter, so gab es zum Beispiel immer noch meinen geliebten Rote-Beete-Salat mit Vanille und Walnüssen und andere Vorspeisen, deren Ingredienzien so exotisch waren, dass ich von einigen noch nie gehört hatte. Und ich habe zum ersten Mal Froschschenkel gegessen, die sogar ziemlich lecker waren, wenn man sich erst einmal überwunden hat, hineinzubeißen. Für zwölf Dollar zusätzlich sind auch Wein und Bier im Preis enthalten, allerdings nur für die Dauer von zwei Stunden. Manche Leute benutzen das, um richtig zuzuschlagen. An unserem Nachbartisch saß eine deutlich angeheiterte junge Frau, die die seltsamsten Grimassen geschnitten hat. Wenn sie nicht ins Telefon lallte, unterhielt sie sich lautstark mit ihrem Freund oder Ehemann, geriet kurz mit ihm in Streit, um dann ausgiebig mit ihm zu kuscheln. Am Ende musste er sie fast aus dem Restaurant tragen …
Wenn man dagegen das nördliche Ende des Strips betrachtet, stellt man fest, dass es sich mit seinen Bauruinen mehr und mehr in eine städtische Wüste verwandelt. Angeblich soll bis 2019 ein neues, riesiges Hotel im chinesischen Stil, mit Pagodenhäusern und einem Nachbau der Chinesischen Mauer errichtet werden, aber die Arbeiten daran gehen nicht recht voran, und der malaysische Investor hat bereits bekannt gegeben, dass die Finanzierung aufgrund der Schwäche seiner Heimatwährung noch nicht endgültig gesichert ist. Wer weiß also, wie lange es noch dauern wird und ob bis dahin nach dem Sahara und dem Riviera nicht auch noch das Stratosphere oder das Circus Circus verschwinden werden. Der Slogan „The North is the new South“ scheint sich bereits überlebt zu haben.
Die Zukunft ist also ungewiss, das trifft nicht nur auf den Strip, sondern auf das ganze Land zu. Der Wahlkampf ist auch hier ein Thema, allerdings eines, das nur am Rande auftaucht. Wahlplakate waren bislang nirgends zu sehen, allenfalls für die ebenso im Herbst stattfindenden Wahlen der Richter. Dass diese überhaupt gewählt werden, ist für uns Europäer nur schwer nachvollziehbar und wirft die Frage auf, ob sie ihre Zeit nicht besser für die Rechtsprechung anstatt für den Wahlkampf nutzen sollten.
Den meisten Amerikanern scheint die Politik ohnehin egal zu sein, und nicht nur die Politik, sondern überhaupt fast alles, was nicht direkt unter ihrer Nasenspitze passiert oder sie direkt berührt. Auch die Aufmerksamkeitsspanne scheint immer mehr nachzulassen, vielleicht liegt es aber auch an den allgegenwärtigen Handys, auf deren Bildschirme die Leute starren. Als wir mit dem Bus unterwegs waren, gab es an jeder Haltestelle jemanden, der zu spät gemerkt hat, dass er aussteigen will, und deshalb den Bus aufgehalten hat.
Gelegentlich kommt man auch mit den Leuten ins Gespräch. Im Fahrstuhl kann es passieren, dass man nach seinen Gewinnen gefragt wird, und mir ist es immer ein bisschen unangenehm zu sagen, dass ich gar nicht spiele. Lieber sage ich nur, dass ich bislang nichts gewonnen habe, was im Prinzip ja auch stimmt. Dann hört man Sätze wie „Ich auch nicht – na ja, zumindest nicht in diesem Hotel“, oder die Leute freuen sich, dass sie zweihundert Dollar gewonnen haben, erwähnen jedoch erst auf Nachfrage, dass sie sechshundert eingesetzt haben …
Das denkwürdigste Gespräch ereignete sich jedoch gestern Abend, als Mark G. doch noch einem Einarmigen Banditen einen Besuch abgestattet hat. Wir saßen vor der Maschine und sahen zu, wie seine Einsätze verschlungen wurden, als eine angeheiterte Blondine mit tiefer Stimme Mark G. ansprach. Als sie erfuhr, dass wir aus Deutschland kommen, war sie vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen und fragte allen Ernstes: „Have you seen Rachel?“ Auf unsere Nachfrage, wen sie denn meine, erwiderte sie, dass ihre Freundin Rachel gerade in Deutschland Urlaub mache …