Sin & the City

Sin City, Stadt der Sünde, lautet der wenig schmeichelhafte Beiname von Las Vegas. Passenderweise steht auf dem Weg von der Bushaltestelle zu unserem Hotel ein Zeuge Jehovas oder vielleicht auch ein anderer christlicher Missionar mit einer Broschüre in der Hand und schaut mit grimmigem Blick auf uns arme Sünder. Dabei haben wir nur einen ausgedehnten Ausflug zu einer weiteren Outlet Mall unternommen, deren Geschäfte dort seit unserem letzten Besuch jede Menge Nachwuchs bekommen haben. Es ist wirklich erstaunlich, in welche Geschwindigkeit die Amerikaner ihre Häuser hochziehen, während wir in Deutschland schon an einem einfachen Flughafen scheitern. Allerdings wird hier auch alles mit Holz gebaut.

Nach unserer Shoppingtour, die unter dem Motto „Es kommt nicht darauf an, wie viel man ausgibt, sondern wie viel man spart“ stand, und einem Kinobesuch (Hell or High Water) fuhren wir gestern noch ins Mirage, um das dortige Büffet auszuprobieren. Preislich liegt es im oberen Mittelfeld, und qualitativ ist es ziemlich gut. Es gibt eine ordentliche, aber nicht übertrieben hohe Auswahl an Speisen, gutes Seafood, erstaunlich viele Suppen und eine überraschend übersichtliche Dessertabteilung. Insgesamt sehr zufriedenstellend und der Abschluss eines weiteren angenehmen Urlaubstages.

Shoppen, essen, Shows ansehen und natürlich spielen, das ist es, was die meisten Besucher hier tun. Und Las Vegas macht es einem mit seinen vielen günstigen Angeboten auch wirklich einfach. Draußen scheint jeden Tag die Sonne, drinnen herrscht ewige Nacht, so dass die Party niemals enden muss. Und die Tatsache, dass es nirgendwo Uhren gibt, kann schon mal dazu führen, dass man sich unwillkürlich fragt, welcher Tag eigentlich ist. Alles glitzert und funkelt, man hört überall Musik, und die Hotels übertreffen sich gegenseitig mit ihren Attraktionen. Aber wenn man die gepflegten Gärten und Poollandschaften, die üppigen Büffets und lärmenden Kasinos betrachtet, bekommt man schon mal ein schlechtes Gewissen.

Las Vegas ist in gewisser Hinsicht ein Brennpunkt der Probleme unserer Zeit. Es gibt eine glanzvolle Fassade, aber dahinter sieht es ganz anders aus. Wenn man den Strip hinter sich lässt und ein Stück weit hinaus fährt, sieht man überall Wüste, eine Tatsache, die man in den Hotels leicht vergessen kann. Steine und trockener brauner Boden, so weit das Auge reicht. Und mittendrin wie eine Fata Morgana diese unwirkliche Stadt, die Unmengen an Ressourcen verschlingt, vor allem Wasser. Als wir mit dem Flugzeug zur Landung ansetzten, konnte man einen Blick auf den Lake Powell werfen, den Stausee, der die Trinkwasserversorgung gewährleistet, und dessen Wasserstand stetig sinkt. Andere Reservoirs in den Bergen waren bereits trocken.

Auf dem Rückweg ins Hotel erstaunten mich vor allem die Menschenmassen, die sich über den Strip schoben. Für einen Mittwochabend war es ziemlich voll, was mit Sicherheit mit der Faszination dieser Stadt zu erklären ist. Man kann von dieser Maßlosigkeit, dieser Verschwendung halten, was man will, die Stadt besitzt eine einzigartige Atmosphäre, der man sich nur schwer entziehen kann. Auch wenn man sich manchmal wie ein Sünder fühlt.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2016 von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.