Manchmal wünschte ich mir, die großen Regisseure der Filmgeschichte wären noch immer unter uns und könnten Filme drehen. Wie sähen sie heute aus, die Werke von Hitchcock, Lubitsch, Wilder, Hawks oder anderen? Gelegentlich tauchen Filme auf, die an ihre Handschrift erinnern, die eine Reminiszenz an ihr Werk darstellen, aber selten dem direkten Vergleich standhalten können …
Am Sonntag bist du tot
Im Beichtstuhl erzählt ein Mann dem engagierten Priester James Lavelle (Brendon Gleeson), dass er als Kind viele Jahre lang regelmäßig von einem Geistlichen missbraucht wurde. Jetzt will er endlich Rache für sein Unglück, und weil sein Peiniger bereits tot ist und der Tod eines Unschuldigen, noch dazu eines guten Menschen, für viel mehr Aufmerksamkeit sorgt, will er Lavelle in einer Woche am Strand erschießen. Obwohl James die Stimme des Mannes erkannt hat und es laut seinem Bischof keine vollständig vollzogene und damit gültige Beichte war, die nicht dem Beichtgeheimnis unterliegt, geht er nicht zur Polizei, sondern lebt weiterhin sein Leben als Gemeindepfarrer. Er spricht viel mit seinem „Schäfchen“, hört sich deren Probleme an, hat für alle ein offenes Ohr. Zudem kommt auch seine Tochter Fiona (Kelly Reilly) zu Besuch, die gerade einen Selbstmordversuch hinter sich und den Entschluss ihres Vaters, nach dem Tod seiner Frau Priester zu werden, nie ganz verwunden hat.
Der Anfang des Films könnte fast von Hitchcock stammen und kreiert in wenigen Minuten ein unglaublich intensives Spannungsgefühl. Man fühlt von Anfang mit dem Helden mit, hofft, dass er es schafft, den Mann, der ihn bedroht, noch irgendwie zu besänftigen, und rätselt bei jener neuen Figur, die auftaucht, ob sie der potentielle Mörder sein könnte. Doch diese Spannung verpufft sehr schnell, das Raten wird schon bald uninteressant, weil James nämlich nicht die Auseinandersetzung sucht, sondern diesem Konflikt aus dem Weg geht. Und auch der deutsche Titel ist eine reine Mogelpackung, die einen Thriller verspricht, was der Film niemals sein wollte und auch nicht ist.
Calvary, also Golgota, lautet der sehr viel bessere Originaltitel und zieht damit sofort Parallelen zur Leidensgeschichte Christi. Wie Jesus geht auch James dem angekündigten Tod nicht aus dem Weg, er verteidigt sich nicht, begehrt nicht auf und flieht auch nicht, sondern hält an seinen Prinzipien bis zur letzten Konfrontation fest. Ein Schlüsselsatz des Films lautet daher sinngemäß, dass man dies auch als Form von Selbstmord betrachten könnte.
Neben dieser persönlichen Geschichte handelt der Film vor allem von den Auswirkungen des kirchlichen Missbrauchsskandals auf die irische Gesellschaft, die bis ins Mark erschüttert wurde. Als James sich einmal zufällig mit einem jungen Mädchen unterhält, das in der Gemeinde zu Besuch ist, wird sie gleich von ihrem Vater ins Auto gezerrt, der den Priester anschaut, als hätte der sich gerade unsittlich entblößt. Dabei ist James ein hochanständiger Mann, der immer nur das Beste für seine Mitmenschen will. Sein Kollege (David Wilmot) hingegen ist eitel und selbstgefällig und zu oberflächlich für diesen Beruf, der Bischof liebt mehr den Luxus und die Behaglichkeit seines Amtes, und der Gemeinde ist das alles sowieso egal.
Regisseur und Autor John Michael McDonagh zeichnet ein düsteres, deprimierendes Bild von den Iren, deren berühmter Schwermut inzwischen einer handfesten Depression gewichen ist, weil sie ihren Glauben verloren haben. Die Kirche hat im Missbrauchsskandal versagt und ihre Führungskompetenz verloren, und keine andere Institution kann dieses Vakuum füllen. Der Arzt (Aidan Gillen) ist ein atheistischer Zyniker, der frühpensionierte und schwerreiche Börsenmakler und Kapitalismusgewinner (Dylan Moran) ein seelenloses Wrack, der Schriftsteller (M. Emmet Walsh) liegt im Sterben – Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur sind also nur schwache Krücken, wenn es gilt, das Leben mit Sinn zu füllen. Kein Wunder, dass es nur noch Sünde gibt, wohin man blickt: Ehebrecher, Gewalttäter und Lügner – es gibt kaum eine positiv gezeichnete Figur. Das alles wird zum Glück nicht plakativ, sondern eher beiläufig erzählt, hätte aber ruhig mehr Tiefe vertragen können, die Figuren sind nicht plastisch genug gezeichnet, ihre Konflikte nicht treffend genug schildert, um einen wirklich zu fesseln. So schleichen sich immer wieder Längen ein, entdeckt man viele Stereotype und nur wenige Überraschungen.
James ist die einzige Lichtgestalt in all dem Dunkel, der zwar von Vergebung predigt, angesichts der Schrecken, die seine eigenen Leute ausgelöst haben, jedoch nichts als Sprachlosigkeit empfindet. Brendon Gleeson spielt ihn großartig, sehr nüchtern, sehr zurückhaltend und daher ungeheuer menschlich.
Wenn man keinen Thriller erwartet, sondern an einem düsteren, aber klugen Drama interessiert ist, sollte man sich den Film unbedingt anschauen.
Note: 3+