Stranger Things

Früher hieß es, wenn man zu lange vor der Glotze saß: Du bekommst noch viereckige Augen. Heute haben wir sogar einen eigenen Begriff dafür, natürlich einen englischen – Binge Watching. Aber wann beginnt eigentlich das Binge Watching? Muss man gleich eine ganze Staffel am Stück sehen oder nur drei, vier Folgen? Darüber gehen die Meinungen wohl auseinander, wobei ich neulich gelesen habe, dass der Durchschnittszuschauer fünf Serien-Episoden am Stück sieht. Wir – Mark G., Meister Mim und ich – haben am Wochenende ebenfalls „binge gewatcht“ (oder „gewatcht binget“?) und uns auf Netflix die Serie des Sommers angesehen …

Stranger Things

Ein geheimes Labor irgendwo im ländlichen Indiana: Tief unter der Erde ist ein Wissenschaftler auf der Flucht, er rennt durch lange Flure und sieht sich dabei immer wieder nach einem unsichtbaren Verfolger um. Mit dieser zwar konventionellen, aber doch sehr spannenden Szene beginnt die neue Netflix-Serie. Im Anschluss begegnen wir den Helden der Geschichte, vier Jungen um die zehn Jahre, die Dungeons & Dragons spielen, kein Computer-, sondern ein Rollenspiel, das viel Fantasie erfordert: Willkommen im Jahr 1983. Es ist bereits dunkel, als drei der Jungs sich auf den Heimweg machen, doch nicht alle kommen dort an. Will (Noah Schnapp) begegnet einer unheimlichen, alienähnlichen Gestalt auf der Straße, die ihn durch einen finsteren Wald bis nach Hause verfolgt, wo er dann spurlos verschwindet …

Schon die ersten Minuten der ersten Folge erzeugen einen starken erzählerischen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Es ist zwar nicht wirklich neu oder originell, was man zu sehen bekommt, aber ungemein spannend und effektiv in Szene gesetzt. Man fühlt sich unweigerlich an die Filme jener Jahre erinnert, an Die Goonies, Stand By Me, Das Geheimnis des verborgenen Tempels und andere Geschichten, in denen jugendliche Helden mit dem Mysteriösen, dem Grauenhaften, dem Unfassbaren konfrontiert werden und dadurch viel über sich, ihre Freundschaft und die Welt, in der sie leben, lernen. Die Serie ist eine tiefe Verbeugung vor Steven Spielberg und Stephen King, die unsere Vorstellungskraft und die Filmgeschichte geprägt haben wie kaum ein anderer in den letzten Jahrzehnten. An Stranger Things oder Filmen wie Super 8 erkennt man, wie groß ihr Einfluss auf die Popkultur ist und wie selbstverständlich wir ihren Erzählkanon verinnerlicht haben.

Ich will hier nicht zu viel verraten. Wer jetzt nicht auf den Geschmack gekommen ist, sollte sich die Serie nicht ansehen. Aber es lohnt sich. Hier und da gibt es kleinere Längen, aber in jeder Episode warten die Duffer Brothers, die das Gesamtkonzept zu verantworten und auch viele Folgen inszeniert haben, mit einer oder mehreren spannenden Sequenzen auf. Und obwohl man sehr schnell die Geheimnisse und Machenschaften des finsteren Gegenspielers (Matthew Modine) durchschaut, bleibt es bis zum Showdown spannend.

Bemerkenswert sind auch die schauspielerischen Leistungen von Winona Ryder, die Wills Mutter mit einer nervösen Intensität darstellt, dass sie dafür garantiert für den einen oder anderen Preis nominiert werden dürfte. Zweifellos das Comeback des Jahres. Absolut sehenswert ist aber auch eine Neuentdeckung: Millie Bobby Brown spielt ein geheimnisvolles, telepathisch begabtes Mädchen, das den nerdigen Jungs bei ihrer Suche nach Will unter die Arme greift und mehr als einmal den Allerwertesten rettet. Schließlich schreiben wir nicht mehr das Jahr 1983 …

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.