Die Frau in Gold

Mitte der Neunziger musste ich nach Wien reisen, um mit István Szabó über ein Filmprojekt zu reden. Im Anschluss an den Termin habe ich die Gelegenheit genutzt, einen ausgedehnten Spaziergang durch eine meiner Lieblingsstädte zu unternehmen, die ich leider viel zu selten besuche – tatsächlich bin ich seither nicht mehr dort gewesen. Da meine Mutter teilweise in Wien aufgewachsen ist, habe ich ihr als Gruß aus der alten Heimat eine bestimmte Kaffeesorte mitgebracht, die in einer hübschen Dose verkauft wurde. Auf der Dose prangte ein berühmtes Bild: Klimts Frau in Gold …

Als der Film letztes Jahr in die Kinos kam, habe ich viel Gutes über ihn gehört, aber irgendwie fand ich das Thema Nazi-Raubkunst zu wenig ansprechend, um ihn mir dann tatsächlich anzusehen. Neugierig war ich jedoch schon, zumal der Trailer ziemlich ansprechend war und Helen Mirren zu meinen Lieblingsschauspielerinnen zählt. Deshalb habe ich ihn mir kürzlich auf SkyGo angesehen.

Die Frau in Gold

Als Ende der Neunzigerjahre die österreichische Regierung plant, unrechtmäßig während der Nazizeit erworbene Kunstwerke ihren früheren Besitzern zurückzugeben, kontaktiert Maria Altmann (Helen Mirren) den befreundeten Anwalt E. Randol Schoenberg (Ryan Reynolds) und beauftragt ihn damit, ihre Ansprüche geltend zu machen. Sie reisen gemeinsam nach Wien, wo sie einen engagierten Journalisten (Daniel Brühl) kennenlernen, der sie tatkräftig unterstützt. Für Maria wird es eine schmerzhafte Reise in die Vergangenheit, die all das Unrecht, das sie in jungen Jahren erleben musste, wieder aufwühlt. Sehr bald müssen sie feststellen, dass die österreichische Regierung sich ihren Forderungen vehement widersetzt, denn bei einem der Gemälde geht es um Klimts weltberühmte Frau in Gold …

Das Thema Raubkunst hat uns in den vergangenen Jahren stärker denn je beschäftigt, nicht zuletzt wegen des Falls Gurlitt, aber will man wirklich einen Film darüber sehen, noch dazu, wenn er von einem jahrelangen Rechtsstreit handelt und man noch weiß, wie er ausging? Immerhin spielt Helen Mirren die Hauptrolle, und allein ihretwegen lohnt es sich. Ihre Maria ist wunderbar resolut und schlagfertig, eine Frau, die sich durch nichts unterkriegen lässt, aber auch weiß, wann sie sich geschlagen geben muss. Sie versucht, die Erinnerungen an die Vergangenheit zu bewahren, ohne verbittert oder zynisch zu werden, auch wenn ihre in Rückblenden gezeigten Erinnerungen voller Schmerz und Trauer sind. Ihr geht es nie ums Geld, sondern darum, ihrer geliebten Tante den Platz in der Kunstgeschichte zu sichern, der ihr gebührt. Denn die Frau in Gold, wie die Österreicher das Bild genannt haben, ist eigentlich ein Porträt von Adele Bloch-Bauer, der Frau eines jüdischen Wiener Fabrikanten, und durch die simple Umbenennung wurde gewissermaßen ihre gesamte Existenz und die Geschichte des Bildes verheimlicht. Es ist ein Kampf gegen das Vergessen und Beschönigen.

Drehbuchautor Alexi Kaye Campbell, der sich von den Erinnerungen Schoenbergs inspirieren ließ, schafft es von der ersten Szene an, Maria zu einer durch und durch sympathischen Heldin zu gestalten. Man fiebert mit ihr mit, wenn sie sich mit den schnöseligen Vertretern Österreichs herumschlagen muss, bangt aber auch mit Schoenberg, der sich für sie einsetzt, zuerst widerwillig, dann immer leidenschaftlicher, weil er, der Sohn und Enkel österreichischer Emigranten, begreift, dass dieser Streit über eine bloße Auseinandersetzung um ein wertvolles Bild hinausgeht. Ryan Reynolds liefert dabei eine seiner eindrucksvollsten Leistungen ab.

Es gibt zwar ein paar kleinere Längen, die dem juristischen Prozedere und den Zweifeln der beiden Hauptfiguren geschuldet sind, die nicht wissen, ob sie diesen Kampf David gegen Goliath wirklich führen wollen, aber diese fallen kaum ins Gewicht. Der Film besticht durch eine klare Geschichte über Gerechtigkeit, die von Anfang bis zum bewegenden Ende spannend und mitreißend erzählt ist, und durch sein hervorragendes Schauspielensemble mit vielen bekannten Gesichtern selbst in den kleinsten Rollen. Lohnenswert!

Note: 2+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.