Es gibt Filme, bei denen man sich einfach nicht sicher ist, ob man sie sehen will. American Sniper ist so ein Film, immerhin von Clint Eastwood inszeniert, dessen jüngere Filme ich nahezu alle gesehen habe, für sechs Oscars nominiert, darunter für den besten Film. Außerdem war er auch ziemlich erfolgreich, sogar in Deutschland, dessen Publikum mit Kriegsfilmen dieser Art ansonsten wenig anfangen kann. Auf irgendeine Art und Weise muss er also die Menschen ansprechen. Und deshalb sollte man ihn sich auch anschauen.
American Sniper
Chris Kyle (Bradley Cooper) wächst in Texas auf, kann gut schießen und reiten und will unbedingt Cowboy werden. Er versucht sich als Rodeoreiter, als Mitte der Neunziger aber die ersten Anschläge mit islamistischem Hintergrund auf US-Botschaften verübt werden, geht er zum Militär, zur Eliteeinheit der Seals. Damals ist er mit dreißig bereits ein Senior in der Ausbildung. Schon bald fällt sein außergewöhnliches Talent mit Schusswaffen auf, weshalb er zum Scharfschützen ausgebildet wird. Er verliebt sich in Deby (Denise Robertson), doch schon kurz nach der Hochzeit wird er zu seinem ersten Einsatz in den Irak geschickt.
Als Scharfschütze muss er manchmal schwierige Entscheidungen treffen, rettet damit aber seinen Männern oft das Leben. Doch der Krieg verändert ihn, zurück in der Zivilisation leidet er unter posttraumatischen Belastungsstörungen, seine Ehe kriselt deswegen. Obwohl er inzwischen zwei Kinder hat, geht er noch drei weitere Male zurück in den Irak. Dort gibt es mit Mustafa (Sammy Sheik) einen gegnerischen Scharfschützen, der den Soldaten das Leben schwer macht und sogar zwei seiner Freunde tötet. Zwischen Chris und Mustafa entbrennt ein regelrechtes Duell …
Filme über den Irakkrieg gibt es etliche, es ist die postmoderne Art, nationale Traumata aufzuarbeiten, indem man immer wieder erzählt, was geschehen ist. Und dabei fleißig an Heldenlegenden strickt, denn die Geschichte wird bekanntlich immer von den Siegern geschrieben, und Hollywood ist nicht nur ein gigantisches Geschäft, sondern auch die größte Propagandamaschine der Welt. Zudem basiert der Film auf der Autobiografie eines Mannes, der als tödlichster Scharfschütze in die amerikanische Militärgeschichte einging und der sein Leben natürlich in möglichst positiven Farben malen möchte. Das sollte man nicht vergessen, wenn man sich auf den Streifen einlässt.
Wie alle Filme von Eastwood ist auch dieser von überragender Souveränität, großartig inszeniert, voller spannender Momente, berührender Emotionalität, dabei jedoch wohltuend sachlich. Einen Hurra-Patriotismus oder falsches Pathos wie bei anderen Regisseuren findet man hier keine Sekunde lang, und die Darsteller wedeln auch nicht alle fünf Minuten mit der US-Flagge. Man kann verstehen, warum der Film aus formalen Gründen zu den besten seines Jahres gezählt wird.
Lange Zeit ist nicht klar, was Eastwood vermitteln will. Man kann die Geschichte als mahnendes Beispiel sehen, was die amerikanische Kultur des Todes und der Krieg mit einem Menschen anstellen können, genauso gut ist aber auch die Lesart einer klassischen Heldengeschichte möglich. Erst gegen Ende wird eindeutig, dass der Regisseur letzteres im Sinn hatte, auch wenn die Anzeichen schon früh erkennbar waren.
Chris wächst in einem konservativen, christlichen Elternhaus auf, bei einem tyrannischen Vater mit strikten Moralvorstellungen, der seinen beiden Söhnen eine simple Sicht auf die Welt vermittelt, die sie bis ins Mannesalter prägen soll. Die Vorliebe für Waffen wird ihm quasi in die Wiege gelegt, und sein Vater nimmt ihn mit auf die Jagd – eine Szene, die sich später wiederholen wird, wenn Chris seinen Sohn im Töten unterrichtet. Die Botschaft fällt auf fruchtbaren Boden, denn Chris hinterfragt nichts, er überdenkt nichts, eignet sich keine eigene Meinung an, sondern akzeptiert alles, was man ihm beibringt, als Wahrheit. So bleibt er als Figur ungeheuer statisch, und selbst die Einflüsse und Veränderungen, die der Krieg mit sich bringt, dringen nicht wirklich bis zu seinem Wesen vor.
Wir gegen sie, ist die Devise der Soldaten, und entsprechend werden alle Iraker abfällig als „Wilde“ bezeichnet. Getreu der Botschaft der Regierung, dass die Amerikaner die Heilsbringer der Demokratie und Freiheit sind. Nur unterschwellig wird gelegentlich Kritik an diesem System deutlich, das ganze Generationen junger Männer verheizt für seine zweifelhaften Ziele. Ein Kamerad wundert sich einmal, dass Chris seine Bibel, die er wie einen Glücksbringer mit sich trägt, niemals aufschlägt, und fragt, ob er seinen Glauben verloren habe wie er selbst. Was Chris natürlich sofort empört zurückweist. Und wenn sein jüngerer Bruder, der sich ebenfalls freiwillig zum Militär gemeldet hat, von einem Kriegseinsatz zurückkehrt und den Sinn des ganzen Unterfangens in Frage stellt, versteht Chris die Welt nicht mehr.
Aber Eastwood bezieht keine eindeutige Position, wenn es um solche Kritik geht, es sind nur kurze Momente der Irritation, die vielleicht nur dazu dienen sollen, ein aufgeklärteres Publikum bei der Stange zu halten. Denn Patrioten allein machen einen Film nicht zu einem weltweiten Hit. Weil die Kritik nur unterschwellig vorhanden ist und der Sinn des Krieges niemals in Frage gestellt wird, weil alles konsequent aus der Sicht eines Soldaten erzählt wird, ist es auch so leicht, eine Heldengeschichte zu stricken, die jeder verstehen kann. Chris ist ein leuchtendes Beispiel, eine lebende Legende – bezeichnenderweise ist Legende sein Spitzname im Irak – der viele Männer ihr Leben verdanken. Im Film hat er immer Recht, er weiß grundsätzlich alles besser und trifft niemals eine falsche Entscheidung. Jede seiner Tötungen ist absolut gerechtfertigt, selbst wenn er Frauen und Kinder erschießt. Denn Schuld ist immer nur der Feind, die „Wilden“, deren Vorgehensweise barbarisch ist, die unfair kämpfen und es wagen, Amerikaner zu töten. Wofür die Soldaten alttestamentarische Gerechtigkeit fordern. Chris lebt in einer sehr kleinen, dafür aber ungeheuer einfachen Welt.
Natürlich gibt es auch eine andere Sicht der Dinge. Mit den Augen der Iraker betrachtet, sieht man eine Armee feindlicher Invasoren, die in ihre Heimat eindringen und ohne Rücksicht oder Respekt vor Menschen und Traditionen nach Belieben schalten und walten. Und Mustafa, der gegnerische Scharfschütze, schwarz gekleidet wie ein Ninja, ließe sich auch als Freiheitskämpfer stilisieren, der allein gegen eine überlegene und besser ausgestattete Armee kämpft und sie lange an der Nase herumführt. Der als Sportschütze und Olympionike bessere Zeiten kannte und sich wie Chris gezwungen sah, zu den Waffen zu greifen, um das zu verteidigen, was ihm wichtig ist. Dass man als Zuschauer über eine solche Interpretation nachdenkt, ist vielleicht das eigentliche Genie Eastwoods, der seinen kritischen Zuschauern eine differenzierte Deutung ermöglicht, was nur möglich ist, weil er jeglichen religiösen Fanatismus ausblendet. Der Feind ist schlicht der Feind, er wird in der Inszenierung nicht dämonisiert. Aber vielleicht ist das nur meine Lesart, und Eastwood hatte anderes im Sinn. Immerhin gibt es nicht einen Iraker, der positiv dargestellt wird.
Vielleicht liegt in dieser ambivalenten Sichtweise der Schlüssel zum Erfolg. Kritischere Geister können sich auf die spannende Inszenierung konzentrieren und loben die wenigen Momente, in denen der Krieg in Frage gestellt wird, in denen auch zur Sprache kommt, was er wirklich aus den Menschen, die in ihm kämpfen, macht und wieviel er ihnen abverlangt. Die Patrioten wiederum bekommen ihre Heldensaga, vor allem zum Ende hin, wenn Chris Opfer eines traumatisierten Veteranen wird, dem er ja nur helfen möchte. Zuvor hat er mit Leichtigkeit noch seine eigenen Dämonen besiegt, indem er sich darauf konzentriert hat, dass es anderen noch viel schlechter geht als ihm. Der Held hat sich eine neue Mission angeeignet. So einfach ist das. Und am Ende schwenken gerührte Texaner ihre Flaggen …
Möglicherweise liegt der Erfolg auch darin begründet, dass Eastwood einen altmodischen Western inszeniert hat. Hier die guten Cowboys, dort die wilden Indianer. Die Welt wird schön aufgeteilt in Gut und Böse, Weiß und Schwarz. In unserer komplexen Welt, in der sich alles permanent ändert und wir alle ständig überfordert sind, sind simple Antworten immer jene, die sich am besten verkaufen lassen. Und darum geht es letzten Endes doch immer, im Krieg wie im Kino: um Geschäfte.
Note: 3-