Als Amazon ankündigte, nun selbst in die Produktion von Filmen und Serien einzusteigen, war man in der Branche sehr gespannt darauf, womit sie beginnen würden. Dass es sich dann bei Transparent um eine Serie über einen pensionierten Professor handelt, der mit 68 Jahren beschließt, von nun an als Frau zu leben, überraschte dann doch sehr. Ich habe lange gezögert, bevor ich mich doch entschied, einen Blick hineinzuwerfen, zu fremd erschien mir das Sujet, zu beliebig das, was man vorab an Ausschnitten zu sehen bekam. Doch nachdem die Serie mit etlichen Preisen ausgezeichnet worden war, dachte ich mir: Warum eigentlich nicht?
Jeffrey Tambor spielt also Maura Pfefferman, und um eines gleich vorwegzuschicken: Er macht seine Sache ausgezeichnet und hat jeden Preis mehr als verdient. Seine Darstellung besticht durch stille Würde und sanfte Ergebenheit, die sich wohltuend von den etwas schrilleren Performances seiner Co-Darsteller absetzt. In der ersten Staffel erfährt man in Rückblenden über seine ersten, vorsichtigen Versuche, die Welt in Frauenkleidern zu erkunden, aber es geht in der Serie weniger um seine Befindlichkeiten, seine Nöte, im falschen Körper geboren worden zu sein und seinen langen Weg zu sich selbst, sondern vielmehr darum, wie seine Umwelt auf diese Verwandlung reagiert. Das ist zwar etwas enttäuschend, weil einem die Figur auf diese Weise fremd bleibt, wird aber vielleicht in einer der nächsten Staffeln noch thematisch aufgearbeitet.
Die Serie ist im mittelständischen Milieu einer jüdischen Familie in Los Angeles angesiedelt. Maura hat ein gutes Verhältnis zu ihrer Ex-Frau Shelley, die von Judith Light als giftige, erdrückende und nie um einen bissigen Kommentar verlegene jüdische Über-Mutter dargestellt wird und die der Serie die nötige Würze verleiht. Die Szenen mit ihr sind meistens die besten, besonders wenn unter dem bisweilen schrillen Humor alte Verletzungen sichtbar werden. Das Tragische und das Komische gehen hier Hand in Hand.
Die Pfefferman-Kinder sind allesamt meschugge: Sarah (Amy Landecker) führt ein unaufgeregtes Leben als Ehefrau und Mutter, bis sie Hals über Kopf ihren Mann verlässt, um zu ihrer lesbischen College-Liebe zurückzukehren. Josh (Jay Duplass) ist Musikproduzent, der nicht so recht weiß, was er mit seinem Leben anstellen soll, der sich einerseits eine Familie und Kinder wünscht, jede Beziehung aber gründlich in den Sand setzt, weil er viel zu impulsiv und egoistisch ist. Nesthäkchen Ali (Gaby Hoffmann) beschreibt Maura treffend als Überfliegerin, deren Problem es ist, dass sie niemals landet. Ihre Suche nach sich selbst ist eine schlingernde Achterbahnfahrt der Gefühle, sie probiert verschiedene Lebensstile wie andere Menschen Kleidung und fürchtet nichts mehr, als eines Tages irgendwo anzukommen.
Es sind vor allem diese drei Figuren, die die Geduld des Zuschauers (zumindest meine) stark auf die Probe stellen. Keiner von ihnen ist sympathisch, aber weil sie nicht mit böser Absicht handeln und sich selbst mehr schaden als den anderen, beginnt man, allmählich mit ihnen zu fühlen. Und nach ein paar Folgen geschieht das Unglaubliche: Die Serie beginnt zu wachsen, sich zu entfalten, indem sie die Leben der Figuren wie einen bunten Teppich vor einem ausbreitet, auf dem es unentwegt etwas Neues zu entdecken gibt. Die Charakterzeichnungen sind superb und feinsinnig, und spätestens nach der Hälfte der Folgen der ersten Staffel ist man von der seltsamen und bisweilen ziemlich absurd-komischen Welt der Pfeffermans gefangen und süchtig nach mehr.