Daredevil

Zu Marvels Großkampfoffensive auf die Zuschauergunst gehören nicht nur etliche Superheldenfilme, sondern seit einiger Zeit auch die entsprechenden Serien. Marvel’s Agents of Shield machte den Anfang, dann folgte der Deal mit Netflix, der uns insgesamt vier weitere Serien bescheren soll. Die ersten beiden, Daredevil und Jessica Jones, habe ich mir in den vergangenen Monaten angesehen.

Anders als DC, die mit ihren Comicverfilmungen bislang ein weniger glückliches Händchen bewiesen und gerade mit Batman v Superman: Dawn of Justice so einige Probleme haben, profitiert Marvel nicht nur davon, als erste mit einem eigenen Universum aus diversen Einzelfilmen und Serien auf dem Markt gewesen zu sein, sondern sich auch vor der Produktion ein paar Gedanken zum Konzept an sich gemacht zu haben. So zeigt sich im Marvel-Universum wenigstens eine gewisse Kontinuität und Strategie in Bezug auf inhaltliche Übereinstimmungen. Hier werden die Schauspieler nicht nach Belieben umbesetzt, und Ereignisse, die in einem der Filme stattgefunden haben, beeinflussen auch die Handlungen in den Serien und anderen Filmen. Besonders deutlich wird das in der Serie Marvel’s Agents of Shield – die dafür jedoch andere Nachteile hat, zu lange Staffeln und zu viel Leerlauf etwa, weshalb ich über die erste, streckenweise öde Staffel nicht hinausgekommen bin.

Dann kam mit Netflix ein neuer Player ins Spiel, der alles anders machen wollte. Aber heißt anders auch besser?

Daredevil

Matt Murdock (Charlie Cox) ist als Kind erblindet, dafür sind seine anderen Sinne überdurchschnittlich geschärft. Der Mann kann buchstäblich die Flöhe husten hören. Außerdem ist er, dank eines ebenfalls blinden Lehrers (Scott Glenn), ein begnadeter Kämpfer. Als Anwalt kämpft er nun vor Gericht für Gerechtigkeit, als heimlicher Held sorgt er dafür, dass diese siegt, wenn Justitia versagt …

In der ersten Staffel erlebt man gewissermaßen die Geburt des Helden und wird Zeuge, wie aus Matt Murdock Daredevil wird. An Gegnern mangelt es ihm dabei im New Yorker Viertel Hell’s Kitchen (nomen est omen) wahrlich nicht, denn eine Reihe von Gangsterbanden treibt hier ihr Unwesen. Die Situation verschlimmert sich jedoch noch, als Wilson Fisk (Vincent D’Onofrio) diese zu einer Art Kooperation unter seiner Führung zusammenschließt.

Die Mischung aus Verschwörungsthriller und Film Noir ist faszinierend, der Look zwar sehr düster, stellenweise aber auch elegant und verspielt – mit einem Sinn für verschrobene Details. Charlie Cox ist ein charmanter und sympathischer Held, Deborah Ann Woll sorgt als naseweise Sekretärin für Bodenhaftung und Humor, nur Elden Henson als Anwaltskollege strapaziert gelegentlich die Nerven des Zuschauers. Vincent D’Onofrio aber ist ein exzellenter Bösewicht, den man gleichzeitig verachtet und bedauert, ein tapsiger Riese auf Freiersfüßen, dem man ebenso zutraut, ganze Stadtviertel in Schutt und Asche zu legen wie gefühlvolle Gedichte zu rezitieren.

Die erste Staffel beginnt ziemlich spannend, vermag sich dann zu steigern, bevor sie ungefähr nach der Hälfte einbricht und einige Längen aufweist. Erst gegen Ende kann die Spannung wieder gesteigert werden, erreicht aber leider nicht das Niveau der Anfangsfolgen. Ein dickes Plus sind auf jeden Fall die Martial-Arts-Kämpfe.

Nun ist die zweite Staffel verfügbar – und ist tatsächlich besser geworden. In ihr wird Daredevil auf die Probe gestellt, sein Weltbild, seine Moral wird bis in ihre Grundfesten erschüttert, und er muss für sich entscheiden, wofür er steht und wofür er kämpft. Mit dem Punisher Frank Castle (Jon Bernthal) erwächst ihm ein nicht unbekannter Gegenspieler, der den Helden vor allem in den ersten vier Folgen – den schwächsten der Staffel – auf Trab hält. Danach taucht dann zum Glück Elektra (Elodie Yung) auf und wirbelt Hell’s Kitchen gehörig durcheinander.

Der Held gerät in der zweiten Hälfte der Staffel stark unter Druck, muss sich in zahlreichen Schlachten und an mehreren Fronten gleichzeitig beweisen und bekommt es mit einem noch weit gefährlicheren Gegner als Wilson Fisk zu tun – obwohl auch dieser wieder auftaucht und für Unruhe sorgt. Auch seine Freunde bekommen diesmal ihre eigenen Abenteuer, so dass der Showdown aus mehreren, spannenden Handlungsfäden besteht, die kunstvoll ineinander verwebt sind. Am Ende hat man vieles erfahren, über die Helden, die Gegenspieler, ihre Rollen und Ziele – und dennoch sind noch jede Menge Fragen offen. Es bleibt also spannend.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.