Show me a Hero

Normalerweise geht es in diesem Blog nicht um Politik, andererseits hat man das Gefühl, dass seit dem vergangenen Wahlsonntag selbst ein veröffentlichtes Küchenrezept politisch kommentiert wird. Aber keine Angst, in meinem heutigen Beitrag geht es nicht um Merkel oder ihre ambivalente Flüchtlingspolitik, die AfD oder die geistigen bzw. realen Brandstiftungen in Deutschland, sondern um eine Mini-Serie.

Show me a Hero

In der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre wurde die Stadt Yonkers im Staat New York von einem Gericht dazu verurteilt, soziale Wohnungsbauprojekte in von Weißen bewohnten Stadtteilen umzusetzen, um die de facto immer noch existierende Rassentrennung zu überwinden. Die Folge war eine wütende Bürgerbewegung, die gegen die Errichtung erschwinglicher Wohnungen für in erster Linie farbige Arme protestiert hat und die sich gegen den langjährigen Bürgermeister (Jim Belushi) richtete. Als der 28jährige Stadtrat Nick Wasicsko (Oscar Isaac) sich als – eigentlich chancenloser – Gegenkandidat aufstellen lässt, wird er in einem Erdrutschsieg ins Rathaus gespült. Doch auch er kann nicht viel gegen den Willen der Justiz tun, zumal der Richter die Stadt zu einer saftigen Geldbuße verurteilt, um sie zu zwingen, sich zu beugen. Schon bald ist Wasicsko derart unbeliebt, dass er um sein Leben fürchten muss …

Seit der Wirtschaftskrise von 2008 wird deutlich, dass wir alle viele Jahre lang mit der rosaroten Brille auf der Nase herumgelaufen sind, denn viele gesellschaftliche Brüche und Verwerfungen, die wir größtenteils überwunden glaubten, existieren noch immer und treten nun deutlicher denn je zutage. Der Verteilungskampf ist härter geworden, besonders seit es nicht nur die Armen trifft, die schon immer benachteiligt waren, sondern erstmals auch die Mittelschicht, die um den Abstieg fürchtet und gegen „die da oben“ genauso wettert wie gegen jene, die unter ihnen stehen.

Die USA entdecken, dass sie nach wie vor ein Problem mit offenem Rassismus haben, und es ist keineswegs ein Zufall, dass es momentan etliche Filme und Serien gibt, die in den Sechzigern spielen und das Thema zentral oder zumindest am Rande beleuchten. Der von Paul Haggis inszenierte Sechsteiler Show me a Hero schließt quasi die Lücke von der Bürgerrechtsbewegung zu den Ereignissen von Ferguson, indem er die Geschehnisse in Yonkers in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern detailliert schildert. Ein wenig zu detailliert, um ehrlich zu sein, denn es schleichen sich durchaus einige Längen ein, vor allem in den letzten Episoden.

Erschreckend ist vor allem der Anfang, wenn der Hass der Gegner unverblümt zutage tritt. Man sieht wohlhabende Weiße, meist im Rentenalter, darunter aber auch viele junge Familien, wütend die Ratsversammlungen niederschreien und mit ihren Plakaten und reichlich Schaum vor dem Mund gegen Farbige hetzen. Da protestiert keine rechte Minderheit, sondern die Mitte der Gesellschaft, die Angst vor dem eigenen Niedergang hat, die in ihren kleinen, überschaubaren Vororten ihren vielgerühmten american way of life leben möchte, möglichst ungestört von armen Schwarzen, die ja ohnehin allesamt Verbrecher sind. Diese Bilder machen einem Angst, denn sie lassen einen unwillkürlich an unsere Gegenwart denken, an den Mob von Clausnitz, an die Demonstrationen der Pegida und die Auftritte von AfD-Politikern.

„Zeig mir einen Helden, und ich schreibe dir eine Tragödie“, ist das titelgebende Zitat von F. Scott Fitzgerald, doch es ist nur teilweise zutreffend, denn Nick Wasicsko ist kein Held, und die Geschichte ist auch keine Tragödie. Wasicsko scheitert an seiner Naivität, an dem Glauben, dass sich alle schon wieder beruhigen würden und der gesunde Menschenverstand siegen würde. Er verkennt, und auch das ist eine erschreckende Parallele zur heutigen Politik, dass man Ängste ernst nehmen muss und sie nicht einfach aussitzen kann. Es braucht Kommunikation und Überzeugungskraft, aber den Politikern in Yonkers geht es vor allem um den eigenen Machterhalt, gutdotierte Positionen und die eigene Karriere. Und auch hier kann man getrost attestieren, dass sich nichts geändert hat.

Das alles ist äußerst sehenswert, manchmal erschreckend, gelegentlich sogar berührend. Die Macher schummeln andererseits auch ein wenig, indem sie zwar diejenigen porträtieren, die am Ende von den Wohnungsbauprojekten profitieren, dabei aber weitgehend alles aussparen, was irgendwie kriminell oder zwielichtig wirken könnte. Drogen und Kriminalität werden zwar angesprochen, aber eher verschämt thematisiert, was vermutlich dem Zielpublikum geschuldet ist, das in erster Linie natürlich dem Mittelstand angehört …

Alles in allem eine höchst sehenswerte HBO-Produktion (auf Sky), die gut gespielt und stellenweise mitreißend inszeniert ist. Außerdem kann man sich auf ein Wiedersehen mit alten Bekannten wie Alfred Molina als schmierigen Polit-Demagogen, Winona Ryder als trinkfreudige Stadträtin oder Catherine Keener als geläuterte Wutbürgerin freuen.

P.S. nächste Woche wird es keine Pi Jays Corner geben – ich muss dem Osterhasen beim Eierverstecken helfen …

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.