Misery

Am Throwback Tuesday werden in den sozialen Netzwerken meist alte Fotos veröffentlicht, vermutlich verbunden mit einem wehmütigen Hinweis auf die gute alte Zeit. Die natürlich häufig gar nicht so gut war, wie man das im Nachhinein behauptet, denn wenn die Erinnerung verblasst, setzt ja meist umgehend die Glorifizierung ein. Vermutlich ist man ohnehin nur deshalb davon überzeugt, dass alles besser war, weil man selbst jung war und es schlichtweg nicht besser wusste.

Als ich mich gestern mit einer alten Freundin traf, ging es irgendwann auch um das Früher, das einen immer größeren Raum im Leben einnimmt. Es ging um unsere Schulzeit und – wie wir auf das Thema gekommen sind, kann ich gar nicht mehr so genau sagen – um die sexuelle Aufklärung, die heute ja angeblich bereits im Kindergarten beginnt. Irgendwann wurde dann das Wissen der Sechstklässler mit dem ihrer Erzeuger verglichen, und es stellte sich heraus: „Die Kinder wissen mehr als wir!“ Na ja, so ganz unwissend dürften die Eltern allerdings nicht gewesen sein, sonst gäbe es den Nachwuchs ja nicht.

Anschließend drehte sich unser Gespräch um das Unverfänglichste von der Welt: das Wetter. Im Besonderen ging es um das legendäre Weihnachtsfest 1992, an dem der Strom ausgefallen war, weil ein Baum unter der Schneelast zusammengebrochen war und eine Leitung beschädigt hatte. Zwei Dinge erstaunten mich daran: Erstens, dass es damals tatsächlich so viel Schnee gegeben haben soll, und zweitens, dass ich keinerlei Erinnerung daran habe. Vermutlich war der Stromausfall lokal doch recht begrenzt gewesen, und ich vermute mal, dass in jener Nacht sogar das eine oder andere Kind gezeugt wurde – auch ohne genau Betriebsanleitung.

Passend dazu geht es heute um einen Film mit viel Schnee, der Anfang der Neunziger entstand …

Misery

Paul Sheldon (James Caan) ist ein extrem erfolgreicher Autor, der in den verschneiten Bergen verunglückt und dabei von Annie Wilkes (Kathy Bates) gerettet wird, einer ehemaligen Krankenschwester – und Sheldons größtem Fan. Sie liebt vor allem seine Schmonzetten um Misery und ist entsetzt, als sie erfährt, dass Sheldon seine Heldin im nächsten Buch sterben lässt. Doch Misery darf nicht sterben, und Annie ist bereit, alles dafür zu tun …

Seltsamerweise bin ich mit Stephen King nie richtig warm geworden. Zum einen liegt es daran, dass so viele seiner Bücher verfilmt wurden und ich nach ihrer Sichtung nie das Bedürfnis verspürt hatte, sie zu lesen, zum anderen, dass ich eines tatsächlich gelesen habe – Friedhof der Kuscheltiere – und es furchtbar langweilig fand. Dabei bin ich überzeugt, dass mir aus seinem umfangreichen Werk sicherlich das eine oder andere gefallen dürfte.

Misery hat vor einem Vierteljahrhundert für Furore gesorgt, vor allem wegen Kathy Bates, die so furchteinflößend war, dass man ihr nicht im Dunkeln begegnen möchte. An diesem Eindruck hat sich bis heute nichts geändert, ihre schauspielerische Leistung ist immer noch superb, und die Szene, in der sie Sheldon daran hindern will wegzulaufen, unvergesslich. Auch James Caan macht seine Sache gut, wenn man bedenkt, dass er die meiste Zeit im Bett liegen muss.

Inzwischen ist der Film durch die veränderten Sehgewohnheiten jedoch recht langsam geworden, und er wirkt in mancher Beziehung sogar ein klein wenig altbacken – wie aus einer anderen Zeit. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Annie und Sheldon ist fesselnd, leidet aber auch unter einigen Längen, und die Abgründe, die nach und nach ans Licht kommen, besitzen inzwischen etwas Klischeehaftes. Der Film ist tatsächlich in die Jahre gekommen.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.