Colonia Dignidad

Seit einigen Tagen kehren die Kraniche zurück, ein sicheres Zeichen, dass es bald Frühling wird. Irgendein besonders früher Vogel ist bereits in meinem Garten aktiv und gibt penetrante Kreischgeräusche von sich, das klingt ein bisschen wie ein Adler mit Heuschnupfen. Wahrscheinlich ist es aber ein winzig kleiner Geselle, denn die Kleinen haben ja bekanntlich oft die größte Klappe …

Die Filme, um die es in dieser Woche geht, sind alles andere als Leichtgewichte, denn sie behandeln düstere Themen und schwere Schicksale. Den Anfang macht eine deutsche Produktion, die ich ebenfalls vorab sehen konnte.

Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück

Im Herbst 1973 besucht die Stewardess Lena (Emma Watson) ihren Freund Daniel (Daniel Brühl) in Chile, wo der Deutsche an der Universität studiert und sich politisch für Allende engagiert. Als der Präsident durch General Pinochet gestürzt wird, kommt es zu Massenverhaftungen. Auch Lena und Daniel werden festgenommen. Während sie bald wieder entlassen wird, bringt man ihn in die Colonia Dignidad, eine Kolonie Deutschstämmiger unter der Leitung des Predigers Paul Schäfer (Michael Nyqvist). Lena tritt der Sekte bei, um Daniel aus den Fängen der Folterer zu befreien …

Die Geschichte erinnert an die Sage von Orpheus in der Unterwelt, nur dass es in diesem Fall eine Frau ist, die sich in die Hölle begibt, um ihren Geliebten zu retten. Emma Watson spielt diese Heldin aus Leidenschaft sehr gut, mit wachsamem Blick und funkelnder Intelligenz – was einer Frau in ihrer Situation eher abträglich war. Denn die Sekte propagierte ein sehr konservatives Welt- und Frauenbild.

Neben Watson kann auch Daniel Brühl voll und ganz überzeugen, und die Szenen der Verhaftung und Folter sind so eindringlich, dass sie beim Zuschauen schmerzen. Regisseur Florian Gallenberger setzt die geistige und räumliche Enge in der Colonia Dignidad kongenial um, und auch das Ende mit der Flucht der Helden ist ausgesprochen spannend geraten, wirkt allerdings auch ein wenig zu hektisch.

Die größten Probleme des Films liegen jedoch im Drehbuch begründet, das es nicht schafft, einem die Figuren näher zu bringen. Lena und Daniel turteln am Anfang viel zu lange herum, und auch in der Mitte kommt es zu etlichen Längen. Die Charaktere entwickeln keine Tiefe, und obwohl die Funktionsweise der Sekte schnell klar wird, mangelt es doch an einem genaueren Blick auf die Mechanismen und die Auswirkungen, die die Indoktrination auf die Mitglieder hat. So bleibt alles eher oberflächlich und abstrakt.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.