Weihnachten ist ja bekanntlich eine Zeit der Märchen, und nicht wenige haben sich vermutlich Drei Nüsse für Aschenbrödel angesehen. Ich habe mich für ein moderneres Märchen entschieden: Fifty Shades of Grey.
Das Buch und später der Film waren so außerordentlich erfolgreich, dass ich mich neugierig gefragt habe, woran das wohl liegt, und da ich keinerlei Lust hatte, den Roman zu lesen – angeblich haben ohnehin fünfundsiebzig Prozent der Leser das Buch nicht einmal beendet – habe ich mich für die Adaption entschieden. Wie nah diese an der Vorlage ist, kann ich also nicht beurteilen, aber ich vermute, dass der Film viel weniger explizite Sexszenen enthält, schließlich ist es eine Hollywoodproduktion, und da ist es bereits erstaunlich, wenn man nackte Brüste zu sehen bekommt.
In erster Linie wendet sich die Geschichte an Frauen, und daran ist grundsätzlich nichts Verwerfliches. Als Teenager bzw. junger Mann wurde ich, wie andere Geschlechtsgenossen auch, in Dirty Dancing und Pretty Woman geschleppt und konnte beiden sogar etwas abgewinnen. Warum sollte mir deshalb Fifty Shades of Grey nicht gefallen? Und ein bisschen männlicher Spott muss sein, nach Pretty Woman haben wir Männer damals auch gescherzt, dass nun jedes junge Ding davon träumt, Prostituierte zu werden. Heute rennen die Frauen in die Baumärkte, um Kabelbinder und Klebeband zu kaufen …
Und darum geht es:
Fifty Shades of Grey
Literaturstudentin Anastasia Steele (Dakota Johnson) springt für ihre erkrankte Freundin ein, um den charismatischen Milliardär Christian Grey (Jamie Dornan) zu interviewen. Von der ersten Begegnung an fühlt sie sich zu ihm hingezogen, und er sich auch zu ihr. Doch der Mann hat ein dunkles Geheimnis: Grey ist praktizierender Sado-Masochist und will keine romantische Beziehung, sondern eine Sklavin, die sich seinen Wünschen beugt und die er bei Bedarf bestrafen kann. Anastasia ist geschockt – aber auch fasziniert …
Dass eine Geschichte wie diese im prüden Amerika zu einem Bestseller wurde, verwundert nicht. Besonders bei gelangweilten Ehefrauen oder solchen, die den täglichen Stress als berufstätige Mutter leid sind und davon träumen, einmal die Kontrolle und alle Entscheidungen abzugeben, bzw. gegen Wohlstand und Sorglosigkeit einzutauschen. Und wenn der Kerl auch noch so knackig ist wie Christian Grey, dann sind wohl ein paar Schläge auf den Allerwertesten kaum der Rede wert.
Aber warum wurde das Buch in Deutschland so erfolgreich, wo es schon in den Neunzigern kaum eine Nachmittagstalkshow gab, in der dieses Thema nicht mindestens einmal ausführlich diskutiert wurde? Ich vermute, weil die Geschichte ein Märchen ist – und Märchen sind manchmal auch brutal und verlangen den Heldinnen einiges ab. Sie stillen darüber hinaus aber auch eine Sehnsucht nach Geborgenheit, Romantik und Seelenverwandtschaft.
Christian Grey ist der Herrscher seines eigenen Imperiums, ein geradezu sagenumwobener Mann mit vielen Talenten, darunter jenes, viel Geld zu machen. Mit einem Kommunikationsunternehmen, was geradezu ironisch ist, wenn man bedenkt, wie wenig und schlecht der Mann kommuniziert. Wie er zu seinem Reichtum gekommen ist, wird nur angedeutet, wie eigentlich alles in diesem Film. Es hat etwas mit Rücksichtslosigkeit zu tun, und auch das glaubt man sofort. Anastasia – welch schicksalhafter Name für eine Heldin – stolpert buchstäblich in das Büro dieses mysteriösen Mannes, es wirkt fast, als würde dem Minotaurus ein neues Opfer ins Labyrinth geworfen. Jungfrau ist sie natürlich auch, und damit ist nicht das Sternzeichen gemeint. Eine naive, hoffnungslos romantisch veranlagte junge Frau, die Thomas Hardy liebt – mehr an Klischee geht nicht.
Anastasia ist keine gute Heldin, dafür ist sie viel zu passiv, zu zögerlich, aber sie ist sympathisch. Sie ist zwar reichlich naiv, aber auf eine erfrischende Weise, ein bisschen wie ein junges Fohlen, das gleichzeitig Schüchternheit, Neugier und Übermut ausstrahlt. Das macht sie zu einer guten Projektionsfläche, weil sie keine Ecken und Kanten hat, weil sie unbedarft wirkt und stellvertretend für die durchschnittliche Zuschauerin in eine fremde und exotische Welt hineinschnuppert. Sie ist die klassische Heldin eines Groschenromans. Nur in einer einzigen Szene übernimmt sie die Initiative und dreht den Spieß um, und man hofft geradezu, dass dies der ersehnte Wendepunkt ist und nun ein Spiel zwischen gleichberechtigten Partnern beginnt. Doch es bleibt nur eine Episode.
Christian Grey ist ein Sexist. Er hält nichts von Romantik, er will keine Partnerin, sondern eine Frau, die er komplett dominieren und bestrafen kann. Kate Atkinson hat einmal sinngemäß in einem ihrer Romane geschrieben, dass es Männer gibt, die ihre Frauen am liebsten in den Schrank sperren würden. Christian Grey ist so ein Typ, nur dass sein Schrank ein luxuriöses Zimmer ist, in dem seine Gespielin wie in einem Harem darauf wartet, dass er sie zu sich zitiert. Der Mann ist jedoch zivilisiert, weshalb er alle Wünsche, besonders die sexuellen, zuvor vertraglich regeln lässt. Muss ja schließlich alles seine Ordnung haben, so wie auch die Peitschen in seinem Spielzimmer der Größe nach sortiert sind.
Die Szene ihrer ersten Begegnung nimmt gewissermaßen den gesamten Film vorweg: Ein Blick in die Augen des anderen, und jede Zuschauerin weiß, hier entflammt eine neue, tiefe Liebe. „Sie sind ein Kontrollfreak“, stellt Anastasia fest und bringt damit das Psychogramm der Figur Grey auf den Punkt. So viele Facetten wie der Titel behauptet, besitzt der Mann nämlich nicht. Was sich im Rest des Films abspielt, ist ein Musterbeispiel für die verquere Kommunikation zwischen den Geschlechtern. Er sagt klipp und klar, was er will und wie er gestrickt ist. Sie glaubt, er meint eigentlich etwas ganz anderes. Wenn Frauen die Männer nur wörtlich nehmen würden und nicht immer nach einem Subtext suchten, bliebe vielen Paar eine Menge Kummer erspart.
Warum ist der Film nun bei Frauen so erfolgreich? Warum verfallen alle Damen diesem Christian Grey, der keine Nähe erträgt, keine richtige Beziehung will, sondern lediglich eine Sklavin? Das Frauenbild, das dieser Mann hat, ist geradezu aus der Steinzeit, und wäre er ein Macho wie in Der Feind in meinem Bett, der seine Partnerin schlägt und ihr Leben bis ins Detail kontrolliert, würden sie zu Recht sagen: Was für ein Schwein. Aber wenn er es zuvor vertraglich regeln lässt und sie dafür mit reichlich Taschengeld versieht, ist plötzlich alles in Ordnung? Immerhin ist er schwerreich und lässt sich nicht lumpen, Anastasia bekommt einen Laptop und ein neues Auto, noch bevor sie den Vertrag unterschrieben hat. Geld macht vielleicht nicht glücklich, entschädigt aber für manches.
Man würde den Frauen wohl Unrecht tun, wenn es nur auf Geld hinausliefe, dies ist schließlich nicht Ein unmoralisches Angebot. E.L. James ist viel raffinierter, denn sie gaukelt den Leserinnen vor, dass in Christian Grey ein Romantiker steckt, der erlöst werden will. Entgegen seiner Behauptungen, keine richtige Beziehung zu wollen, verhält der Mann sich fast den gesamten Film über so galant, aufmerksam und in jeder Hinsicht wie der perfekte Verehrer, dass jede Frau davon überzeugt sein muss, in ihm den Mann ihrer Träume zu sehen. Das Biest erhebt erst zum Schluss sein hässliches Haupt, davor gibt es jede Menge verführerische Momente und leidenschaftlichen Sex – mit ein paar dezenten Fesselungen.
Der Mann ist eine Mogelpackung. Würde man das Geld, die Manieren und das gute Aussehen weglassen und Frauen seine Äußerungen auf einem Blatt Papier vorlegen, sie würden in Scharen Reißaus nehmen oder schneller die Feministin in sich entdecken, als man Alice Schwarzer sagen kann. Aber er sendet so viele romantische Signale aus und ist offensichtlich so stark von Anastasia angezogen, dass jede Zuschauerin sofort weiß: Dieser Mann wartet darauf, durch die Liebe von seinen dunklen Begierden erlöst zu werden.
Ein bisschen Psychologie ist natürlich auch im Spiel: Christian Grey hatte nämliche eine schwere Kindheit. Auch hier wird nur das eine oder andere angedeutet und ins Dunkel der Nacht geflüstert wie in einem Beichtstuhl. Man erfährt von einer drogensüchtigen Mutter, die ihn vernachlässigte und hungern ließ, von einer älteren Frau, die ihn in die SM-Praktiken einführte. Mit anderen Worten: Die Frauen sind schuld, dass er so verkorkst sind – also kann nur eine Frau ihn retten.
Vielleicht ist es auch die Aura des Gefährlichen. Selbst in Twilight gab es diese gewisse Aura der Bedrohlichkeit, die von Edward ausging, obwohl dieser Vampir nicht einmal Reißzähne besaß. In dieser Hinsicht passt es ganz gut, dass die Geschichte zunächst als Fanfiction erschien und Edward und Bella die Helden waren. Ein bisschen erinnert Fifty Shades of Grey auch an Die Schöne und das Biest, nur ist das Monster hier hinter der Maske des hübschen Prinzen verborgen. Anastasia und mit ihr die Zuschauerinnen glauben also, dass Christian Grey darauf wartet, erlöst zu werden. Nicht er ist sexistisch und böse, sondern er wurde dazu gemacht, es ist der Fluch, der auf ihm lastet, und der nur durch die Liebe wieder aufgehoben werden kann. Schließlich hat jedes Märchen ein Happy End.
Vielleicht kommt es eines Tages dazu, man wird sehen. Zuvor gibt es aber noch die eine oder andere Fortsetzung. Und hier liegt das wahre Problem des Films: Die Geschichte besitzt kein Ende, sondern hört einfach irgendwann auf, was ziemlich unbefriedigend ist, vor allem weil man sich zuvor durch unendlich viel erzählerischen Leerlauf gequält hat. Neunzig Prozent des Films passiert schlichtweg nichts, aber das vor schöner Kulisse.
Note: 4