Die Sopranos sind an allem Schuld. Die Kult-Serie über eine Mafia-Familie aus New Jersey hat gezeigt, wie man auch mit an sich wenig sympathischen Figuren und einer komplexen Geschichte Quote machen und Preise einheimsen kann. Davor gab es natürlich noch The Wire, eine Serie über das organisierte Verbrechen in Baltimore mit einer herausragenden Cast. Immer wenn man heute einen Schauspieler auf dem Bildschirm oder der Leinwand sieht und nicht weiß, woher man ihn kennt, spielte er garantiert in The Wire.
In den vergangenen Monaten habe ich relativ viele Serien gesehen, die sich mit der Mafia beschäftigen. Interessant ist dabei, dass es inzwischen sogar den Italienern gelingt, gutes Fernsehen zu machen. Gomorrha war ja als Film bereits hochgelobt, nun gibt es die Story auch als Serie. Leider bin ich ausgerechnet mit dieser nicht warm geworden und habe nach wenigen Folgen aufgegeben.
Besser gefallen hat mir dagegen Romanzo Criminale, die in zwei Staffeln von 2008 bis 2010 lief, eine Serie im verwaschenen Stil des Politthrillers der Siebziger. Auch hier ist Geduld erforderlich – und ein gutes Gedächtnis. Die vielen italienischen Namen, die häufig recht ähnlich klingen, dazu sehr viele Gesichter, von denen einige nur kurz auftauchen, um später dann eine größere Rolle zu spielen, machen es einem nicht leicht, den Überblick zu behalten, aber es lohnt sich.
Es beginnt mit einem alten Mann, der von einer Bande Jugendlicher überfallen und verprügelt wird. Kurz darauf taucht er in dem Café auf, in dem die Jungs abhängen, und eröffnet das Feuer auf sie. Stolz verkündet er, dass er einst zur berüchtigten Bande des Libanesen gehört habe …
Ein spannender Anfang wie man ihn aus dem Kino kennt. Darauf folgt eine Rückblende in die Siebzigerjahre – um am Ende der Serie zur Eingangsszene zurückzukehren. So entsteht eine schöne Klammer, die ein Stück italienischer Kriminalitäts- und Zeitgeschichte zusammenhält. Erzählt wird vom Aufstieg und Niedergang einer Bande in Rom, die sich mit Skrupellosigkeit und Chuzpe an die Spitze der Verbrecherhierarchie mordet, und selbstverständlich basiert das alles auf wahren Begebenheiten.
Es beginnt mit der Entführung eines reichen Adeligen durch ein paar Kleinkriminelle unter der Führung des Libanesen (Francecso Montanari), doch anstatt das Lösegeld wie üblich zu verprassen, investieren sie es in Drogen, um damit noch mehr Gewinn zu machen. Dafür fusionieren sie sogar mit der rivalisierenden Gang von Freddo (Vinicio Marchioni). Es dauert jedoch, bis die unterschiedlichen Temperamente sich zusammenraufen, Animositäten und Rangeleien gehören quasi zur Tagesordnung. Doch auf dem Weg an die Spitze der römischen Unterwelt lauern jede Menge Gefahren. Andere Gangs müssen brutal eliminiert, die süditalienische Mafia, die ein Importmonopol auf Drogen hat, als Partner gewonnen werden.
Und dann gibt es da noch ihre Nemesis: Commissario Scialoja (Marco Bocci). Dieser hat unter den Kollegen einen schweren Stand, weil seine Schwester sich den Kommunisten angeschlossen hat und ihn in Misskredit bringt. Aber der junge Mann ist ehrgeizig und schreckt auch nicht davor zurück, seinen Vorgesetzten auf die Füße zu treten. Sein Schwachpunkt ist die schöne Prostituierte Patricia (Daniela Virgilio), auf die auch Dandi (Alessandro Roja), einer der Männer des Libanesen, ein Auge geworfen hat.
Der Pate ist große Oper, mit viel Pathos und Theatralik, dagegen ist Romanzo Criminale so nüchtern wie Reality-TV. Der Einblick in den italienischen Alltag von Mitte der Siebziger bis Anfang der Neunziger ist nüchtern und ungeschminkt. Die Gangster hocken in schäbigen Hinterzimmern und später in biederen Einfamilienhäusern – Glamour und Style sucht man vergebens. Doch das ist genauso faszinierend wie die Aufarbeitung der politischen Geschichte des Landes. Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Neofaschisten, die Entführung von Aldo Moro, die eine sehr wichtige Rolle auch für den Aufstieg der Bande spielt, die Machenschaften des Geheimdienstes und die Korruption in der Regierung – all das vervollständigt dieses Sittengemälde und erklärt, wie es dazu kommen konnte, dass das Verbrechen florierte.
Die zwölf Folgen der ersten Staffel sind solide, aber leider auch etwas arm an Tempo. Man muss sich darauf einlassen und sollte keine allzu langen Pausen zwischen den einzelnen Episoden einlegen, um nicht den Überblick zu verlieren. Gegen Ende der Staffel setzt dann bereits der Niedergang ein. Die Drogen vernebeln das Urteilsvermögen einiger Gangster, die Rivalitäten untereinander nehmen zu, es kommt zu Verrat und tödlichen Intrigen. Die zweite Staffel berichtet dann vom Niedergang, und wie bei einem gut komponierten Kinothriller wird nun eingelöst, was zuvor versprochen wurde. Stellenweise ist das hochspannend erzählt, am Ende sogar mit einem ordentlichen Schuss Melancholie. Denn ein gutes Ende nimmt ein Verbrecherleben selten.
Wer sich für die mafiöse Geschichte Italiens interessiert, sollte diese Serie nicht verpassen. Mit 1992 gibt es übrigens eine weitere TV-Produktion (aus 2015), die nicht inhaltlich, aber zeitlich dort weitermacht, wo Romanzo Criminale aufhört, und von den Bemühungen erzählt, der Mafia das Handwerk zu legen.