Europäische Kartoffeln

Vergangenen Samstag wurden in Berlin die Europäischen Filmpreise verliehen, und als kinobegeisterter Filmschaffender sollte ich eigentlich in meinem Blog darüber berichten. Eigentlich. Zu meiner Schande muss ich jedoch gestehen, dass ich zum einen gar nicht wusste, dass die Preise vergeben wurden (Wie, schon wieder?, war mein erster Gedanke), und zum anderen, dass ich von allen preisgekrönten Produktionen nur eine einzige (Amy) gesehen habe. Asche auf mein Haupt.

Die Verantwortlichen der Europäischen Filmakademie beklagten ja schon des Öfteren den mangelnden Bekanntheitsgrad des Preises im Bewusstsein der europäischen Kinogänger. Dabei soll der Preis genau das bewirken: Das Interesse auf den europäischen Film richten. Hin und wieder gelingt es auch tatsächlich, einen preisgekrönten Streifen noch einmal in die Kinos zu bringen und ihm weitere Zuschauer zu verschaffen, aber das ist eher die Ausnahme als die Regel.

Warum interessiert sich, spitz formuliert, außer den Nominierten kaum jemand für diesen Preis? Warum reden alle immer nur vom Oscar – und manchmal auch von den Golden Globes, aber nicht von … Und da haben wir eine erste Antwort: Europäischer Filmpreis klingt einfach nicht sexy. Oscar ist zwar nur ein Spitzname, hat sich aber so eingebürgert, dass der durchschnittliche Kinogänger bei dem Begriff Academy Award erst einmal überlegen müsste, was damit gemeint ist. Früher gab es übrigens den Versuch, den Namen Felix einzuführen, so hieß die Trophäe, die verliehen wurde, aber trotz des Namens war der ganzen Sache kein Glück beschienen. Jetzt bekommen die Preisträger eine namenlose Frauen-Statuette in die Hand. Man könnte sagen, eine Europa. Genützt hat das nichts. Wenn überhaupt, dann sagen alle immer: Das ist der europäische Oscar. Was vielleicht gut gemeint ist, aber nicht gerade nett.

Eine weitere Erklärung ist etwas komplizierter. Gegenüber dem Amerikaner pflegt der kulturell interessierte Europäer immer noch eine Art Standesdünkel, gepaart mit einem satten Minderwertigkeitskomplex. Einerseits ist man den Amis in Sachen Kultur ja mindestens um zweitausend Jahre voraus und überlegen sowieso, andererseits haben sie mit ihrer Popkultur der Welt dermaßen das Gehirn gewaschen, dass man angesichts ihres Einflusses auf das Denken der Menschheit dollargrün vor Neid werden könnte. Mit den eigenen Waffen schlagen kann man sie nicht, dazu fehlt es an den nötigen Ressourcen, aber das muss man auch gar nicht, wenn man nur die Deutungshoheit über den Begriff Kultur vereinnahmt und sagt: Was (Film-)Kunst ist, bestimmen immer noch wir.

Das Problem ist nur, dass der durchschnittliche Kinozuschauer viele dieser Filme nicht sehen will. Weil er gehirngewaschen ist natürlich und zu faul zum Denken. Weil es einfacher ist, sich von einem knalligen Unterhaltungsfilm berieseln zu lassen als in eine Komödie zu gehen, bei der man eine Gebrauchsanweisung zum Lachen benötigt. Und genau diese sperrigen Produktionen verbindet man gedanklich mit dem Europäischen Filmpreis.

Natürlich gab es in der Vergangenheit unter den nominierten Filmen auch Kassenschlager oder massentauglichere Produktionen wie The King’s Speech, Das Leben der Anderen, Good Bye, Lenin! oder Die Queen. Was gut ist und gefällt, findet sein Publikum auch ohne einen Europäischen Filmpreis. Und bei den etwas sperrigen Sachen, die vor allem in den letzten Jahren nominiert wurden, ist es im Grunde egal, ob sie ausgezeichnet wurden oder nicht, denn mehr Zuschauer generieren sie durch den Preis auch nicht.

Ich muss gestehen, je älter ich werde, desto mehr neige ich dazu, den Inhalt über die Form zu stellen. Eine gut erzählte, anregende, bewegende oder auch nur unterhaltende Geschichte ist mir allemal lieber als ein kompliziertes Konstrukt, das ein eher intellektuelles Vergnügen ist. Mache ich es mir zu einfach? Vermutlich. Sollte ich etwas daran ändern? Sicher. Ich sollte mehr künstlerisch wertvolle Filme sehen, mehr Gemüse essen, mehr Sport treiben. Ein besserer Mensch werden. Aber ich bin eben auch nur eine gehirngewaschene Couchpotato …

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.