Spectre

James Bond ist ein Kind des Kalten Krieges, einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse eindeutig verliefen und die Rollen klar verteilt waren. James Bond verkörperte darüber hinaus auch das westliche Männerbild seiner Zeit, vereinte all die Attribute, die man(n) seinerzeit haben sollte und die diese Figur zur perfekten Projektionsfläche der ersten Nachkriegsgenerationen machten. Bond war ein Macho, der immer einen flotten Spruch auf den Lippen hatte, jede Frau herumkriegte und nebenbei die größten Schurken zur Strecke brachte. Ein potenter Held, wie er im Buche steht.

Ich konnte James Bond schon als Kind nicht leiden. Die Figur war immer zu glatt, zu selbstverliebt, um für mich interessant zu sein, und seine Gegenspieler, immer verrückt, immer davon besessen, die Welt zu besitzen oder wenigstens zu zerstören, waren nicht weniger eitel. Dabei gab es durchaus ein paar Filme, die ich mochte, Goldfinger zum Beispiel, was vermutlich ausschließlich Gert Fröbe geschuldet war, der dem Wahnsinn seiner Figur etwas Kasperlehaftes verlieh.

Die Zeiten änderten sich, und James Bond geriet immer mehr zu einem Anachronismus. Die letzten Filme mit Pierce Brosnan habe ich mir schon gar nicht mehr angesehen, überhaupt habe ich nur einen einzigen Bond im Kino gesehen, ziemlich widerwillig und unter Gruppenzwang, und das war ausgerechnet Im Angesicht des Todes. Nicht gerade einer der besten. Erst bei Casino Royale flackerte mein Interesse an dieser Figur wieder auf, dank Daniel Craig und einem Drehbuch, das aus Bond einen Menschen und keine Fantasiefigur machte. Leider war es mit dem guten Eindruck bald wieder vorbei, da die folgenden Geschichten bei weitem nicht das Niveau hielten, und auch Skyfall war bestenfalls okay. Dennoch habe ich mir den neuen Film angesehen.

Spectre

Nach dem Tod von M (Judi Dench) erhält Bond (Daniel Craig) eine letzte Mission von ihr: Er soll Marco Sciarra (Allesandro Cremona) töten. Was ihm in Mexico City auch gelingt. Dabei fällt ihm ein Ring in die Hände. Von Sciarras Witwe (Monica Bellucci) erfährt er, dass ihr Mann Mitglied einer Geheimorganisation namens Spectre war, die hinter verschiedenen Attentaten steckt …

Die Anfangssequenz in Mexico City ist grandios. Nach einer endlos langen Kamerafahrt kommt es zu einer Explosion und einer spektakulären Kampfszene in einem Helikopter, die hochspannend ist und den perfekten Auftakt zu jedem Actionfilm bietet. Leider kann der Rest des Films die hier geweckten Erwartungen dann nicht mehr erfüllen, und im Nachhinein betrachtet, hätte ich danach auch nach Hause gehen können.

Schon der Bond-Titelsong, normalerweise mit das Beste am Film und vor allem stets einprägsam und unverwechselbar ist eine Katastrophe, ein aufgeblasenes Nichts, das man bereits vergessen hat, bevor die letzte Note verklungen ist. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, sollte sich schämen. Der Vorspann selbst ist wie immer handwerklich gut gemacht, sieht aber aus wie bei den letzten Filmen auch.

Von der Handlung hat man im Vorfeld nicht viel erfahren, es hieß, dass dunkle Geheimnisse aus Bonds Vergangenheit ans Licht kommen sollten, dass es eine Verbindung gibt zwischen diesem Fall und den Vorgängern, und natürlich war viel von Spectre die Rede, jener legendären Organisation, die schon in den Romanen auftauchte und dem Helden und der Welt das Leben schwer machte. Dies im Hinterkopf, wusste man schon nach der ersten halben Stunde, wie der Film verlaufen und vermutlich enden würde. Und genauso, abgesehen von einigen kleinen Überraschungen, kam es dann auch. Überraschungen, unerwartete Wendungen oder sensationelle Enthüllungen – Fehlanzeige. Stattdessen klappert der Held brav eine Station nach der anderen ab, sammelt Informationen, von denen man nie weiß, wie sie überhaupt erlangt wurden, und liefert sich dann den enttäuschendsten Showdown des Jahres. Einzig die Art und Weise, wie Bond am Ende seinen Widersacher behandelt, ist eine positive Überraschung. Das tröstet jedoch nicht darüber hinweg, dass die Story uninspiriert, lieblos zusammengestückelt und über weite Strecken einfach nur langweilig ist. Man könnte auch sagen, es ist die längste Autowerbung der Welt.

War James Bond früher der bekannteste und beliebteste Spion im Kino, hat er mit Jason Bourne und Ethan Hunt zwei Nachahmer gefunden, die ihm die Gunst der Zuschauer streitig machen. Vieles aus ihren Filmen orientiert sich an Bond, wodurch das Original zwangsläufig an Originalität verliert. So erinnert zum Beispiel die drohende Auflösung des Doppelnull-Programms an Mission: Impossible – Rogue Nation. Hinzu kommen die vielen Parodien, die zur Folge haben, dass man eine Organisation wie Spectre kaum noch ernst nehmen kann, wenn man Samuel L. Jackson als Ober-Bösewicht in Kingsman: The Secret Service gesehen hat. Unsere Welt ist nicht mehr so einfach in Schwarz und Weiß unterteilbar, sondern wesentlich komplexer als in den Sechzigern, als der erste Bond-Film herauskam.

Wer so oft kopiert wird, müsste eigentlich immer eine Nasenlänge voraus sein und neue Wege beschreiten. In Spectre geschieht das aber leider nicht, es werden nur alte Versatzstücke bemüht und Elemente aufgegriffen, die man dann aber immerhin ironisch bricht. Wenn Bond in seinem neuen Wagen unterwegs und seine Bordkanone nicht geladen ist, besitzt das eine angenehme Komik. Etwas mehr davon hätte nicht geschadet. So wirkt Bond nur wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, wie etwas, an dem man aus Nostalgie festhält, obwohl es einfach nicht mehr in unsere Welt passt. Die Diskussion über einen schwarzen, schwulen oder gar weiblichen Bond, die es seit langem gibt, ist bezeichnend dafür. Vielleicht wäre es wirklich reif für tiefgreifende Veränderungen – oder man verlagert die Geschichten in Zukunft gleich in die Zeit des Kalten Krieges. Alternativ würde auch ein besseres Drehbuch schon helfen …

Note: 4+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.