Who Am I

Als Autor kann ich ein Lied davon singen: Genrefilme haben hierzulande einen sehr schweren Stand. Das liegt vor allem an den Redakteuren, und letzten Endes sind es ja immer die Redakteure, die darüber entscheiden, ob ein Film gemacht wird oder nicht, denn Redakteure mögen keine Genres. Warum das so ist, lässt sich nicht in zwei, drei Sätzen erklären und soll auch jetzt kein Thema sein. Nehmen wir es einfach als Tatsache hin, dass die meisten Redakteure Genres generell nicht mögen und wir deshalb vor allem halbgare Dramen und Krimis im Fernsehprogramm finden, die vor allem sozial relevant sind. Oder was die Macher dafür halten.

Vereinzelt gibt es jedoch halbherzige Versuche, einen Genrefilm zu drehen, aber das funktioniert meistens nicht, weil wieder einmal die soziale Relevanz dazwischen funkt oder man sich am Ende doch nicht traut, eine gute Story in ihrem natürlich Habitat heranzuzüchten, sprich nach den Regeln des Genres zu erzählen. Das Resultat ist immer dasselbe, es ist, als würde man einen Fisch in die Luft werden und sich dann darüber beschweren, dass er nicht fliegen kann.

Uns fehlen aber nicht nur Genrefilme, sondern auch richtige Stars. Oder wir haben zu viele davon, zumindest könnte man den Eindruck gewinnen, wenn man eine Fernsehzeitung aufschlägt, in der jeder, der zweimal in einem Film zu sehen war, gleich als Star tituliert wird. Doch selbst Kassenmagneten wie Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer sind nicht immer erfolgreich, besonders wenn sie einmal nicht in einer Komödie agieren. Elyas M’Barek ist seit Türkisch für Anfänger und Fack Ju Göhte ebenfalls ein Star, und als er vergangenes Jahr in einem Thriller mitspielte, fragte man sich in der Branche natürlich, ob das gutgehen würde. Die Rede ist von:

Who Am I – kein System ist sicher

Benjamin (Tom Schilling) ist zwar ein genialer Hacker, bekommt aber sonst in seinem Leben nichts auf die Reihe. Eines Tages lernt er Max (Elyas M’Barek) kennen, der sofort seine Fähigkeiten erkennt und ihn zum Mitglied seiner Gruppe macht. Zusammen mit Stephan (Wotan Wilke Möhring) und Paul (Antoine Monot Jr.) hacken sie sich in fremde System, um sich vor allem einen Spaß zu erlauben. Doch dann legen sie sich mit dem geheimnisvollen Szene-Star MRX an, der Kontakte zur russischen Cyber-Mafia hat, brechen beim BND ein, um ihrem Rivalen ihre Überlegenheit zu demonstrieren, und stecken bald bis zum Hals in Schwierigkeiten.

Der Film wurde von der Kritik als gelungener Genrefilm gefeiert, und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass vieles geglückt ist: Das Timing stimmt, der Look ist edel, und die Story ist, trotz zahlreicher Logikfehler, nicht schlechter als die eines wesentlich teureren Hollywoodfilms. Regisseur Baran bo Odar hat keine schlechte Arbeit abgeliefert.

Dennoch enttäuscht der Film. Die Charaktere sind nicht übermäßig sympathisch, sondern vor allem infantil. Tom Schilling macht zwar eine gute Figur, liefert aber nur seine übliche Performance als Loser ab, die man aus nahezu jedem seiner Filme kennt, während Elyas M’Barek wie gewohnt seinen Charme spielen lässt und Wotan Wilke Möhring mal wieder – und auch das macht er gut – den überdrehten Proll darstellt. Alles wie gehabt also. Und warum müssen die Hacker skurrile Nerds sein, noch dazu welche, die keinerlei Kinderstube genossen zu haben scheinen? Hannah Herzsprung als Benjamins Love-interest wird zudem als solche Langweilerin inszeniert, dass man sich ernsthaft fragt, warum Benjamin sich ausgerechnet in sie verliebt hat – hier wird unendlich viel Material verschenkt.

Wirkliche Spannung kommt in diesem Thriller auch nicht auf. Meistens entkommt der Held nur aufgrund der Inkompetenz, man kann auch Dämlichkeit sagen, seiner Verfolger, die außerdem wohl über Superkräfte verfügen, da sie immer genau dort auftauchen, wo sie gerade gebraucht werden. Wirklich ärgerlich ist vor allem der erzählerische Leerlauf, die endlosen und inhaltlich völlig überflüssigen Party- und Wir-haben-ja-alle-so-viel-Spaß-Szenen, die den Blick auf die Figuren verstellen und im Grunde nur Ballast sind. Und dass jede Wendung  jedes Ereignis umständlich von der Hauptfigur im Off erklärt und beschrieben werden muss, anstatt es anschaulich in Handlung oder Dialog umzusetzen, zeugt nur von der Armseligkeit des Drehbuchs.

Trotzdem … Der Film ist bei allen Längen und Unzulänglichkeiten nicht schlecht. Vor allem das Ende, das ein interessantes Katz-und-Maus-Spiel mit dem Zuschauer und seinen Sehgewohnheiten treibt, ist interessant, auch wenn es ein wenig zu kompliziert gestrickt ist. Alles in allem einer der besseren Versuche, einen deutschen Genrefilm zu erzählen.

Note: 3-

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Pi Jays Corner von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.