Vor einigen Jahren traute man sich kaum noch, ans Telefon zu gehen, weil man ständig von Werbeanrufen belästigt wurde. Irgendwann wurde diese unerwünschte Werbung verboten, und ich stellte mir damals ein Millionenheer arbeitsloser Call Center-Mitarbeiter auf Europas Straßen vor sowie verwaiste Hochhäuser, von denen sie uns einst mit ihren Anrufen bombardiert hatten. Inzwischen habe ich gelernt, dass diese vielen Menschen immer noch in Lohn und Brot stehen und weiterhin ihr Unwesen in diversen Call Centern treiben, nur nennen diese sich nun Meinungsforschungsinstitute.
Vergangene Woche wurde ich von einem dieser „Institute“ angerufen. Ein überaus freundlicher Mann mit Migrationshintergrund (vom Akzent her würde ich auf die Türkei tippen), der viel zu schnell redete und sich recht kumpelhaft benahm, wollte wissen, ob er mir zwei Fragen stellen dürfe. „Dauert nur eine Minute“. Da ich ihn Tage zuvor bereits einmal barsch abgewimmelt und er sich daraufhin für die Störung entschuldigt hatte, willigte ich ein.
Von Zeit zu Zeit werde ich tatsächlich von Meinungsforschern angerufen und interviewt, und häufig habe ich sehr viel Spaß dabei. Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit einer netten, jungen Dame, die mich zu diversen Themen befragte, zu denen ich so gut wie nichts beizutragen hatte (ich glaube, in erster Linie ging es um Autos). Wir haben uns dabei köstlich über die zum Teil dämlichen Fragen amüsiert.
Diesmal war es jedoch anders. Während ich noch darüber nachdachte, ob der gute Mann mir den Namen seiner Firma genannt hatte, leierte er schon seine Fragen herunter. Daran erkennt man einen fähigen Interviewer: Die besten plaudern mit einem wie mit einem alten Bekannten, alle anderen rattern nur ohne jegliche Betonung ihre vorgegebenen Texte herunter und klingen dabei so glaubwürdig wie ein Politiker im Wahlkampf. Selbst gut gemeinte Komplimente hören sich dabei an wie die Zeitansage vom Band.
Als erstes wurde ich gefragt, ob ich einen Hund hätte. Leider war die Telefonverbindung nicht besonders gut (so viel zur IP-Telefonie), so dass ich ihn nicht verstanden habe. Er hätte auch fragen können, ob ich beim Bund war. Als ich verneinte, sprudelte er regelrecht empört los über die gigantische Steuerverschwendung der Politiker und den Bund der Steuerzahler, der ihr schamloses Verhalten anprangert. Einen Zusammenhang habe ich dabei nicht erkannt, vielleicht ging es um die Hundesteuer. Oder ich bekomme jetzt einen Mitgliedsantrag für den Bund der Steuerzahler zugeschickt, wirklich etwas gefragt hat er mich jedenfalls nicht.
Während ich noch darüber nachdachte, ob der Anrufer überhaupt für ein seriöses Meinungsforschungsinstitut arbeitet, wollte er bereits wissen, ob ich schon mal meinen Stromanbieter gewechselt hätte. Dann wollte er wissen, bei wem ich gerade meinen Strom beziehe. An dieser Stelle wurde ich misstrauisch und fragte ihn, für wen er die Umfrage eigentlich durchführe. Darauf gab es keine klare Antwort, stattdessen beharrte er darauf, meinen Stromanbieter zu erfahren, den ich ihm nicht mitteilen wollte. Irgendwann hat er aufgegeben und vermutlich irgendwas in seine Liste eingetragen.
Als ich überlegte, ob es unhöflich wäre, einfach aufzulegen, weil das Ganze schon länger als eine Minute dauerte, mehr als zwei Fragen waren und dies alles andere als eine Umfrage war, kündigte er seine letzte Frage an, die mich wirklich überraschte: „Wissen Sie, wie teuer eine Beerdigung ist?“ Die Antwort gab er sogleich selbst (6000 Euro, falls das einer wissen möchte), um im selben Atemzug wieder über die Politiker zu lästern, die irgendwas abgeschafft haben, weswegen man nun weniger Geld bekommt, wenn man stirbt. Verstanden habe ich es nicht, aber so getan als ob. Bei diesen Leuten kann man ja nie wissen, außerdem – das war mir schon unheimlich genug – kannte er meine Adresse. Ich hatte schon Angst, er wollte mir als nächstes vorschwärmen, wie toll die AfD ist, oder vorschlagen, mich bei Pegida zu engagieren, aber er wollte nur wissen, ob man mich einmal anrufen könne, um mir „wichtige Informationen“ zukommen zu lassen – vermutlich zu Hunden, Stromtarifen und Sterbeversicherungen. Ich sagte nein und beendete das Gespräch.
Vor ungefähr einem Jahr führte ich schon einmal ein ähnliches Gespräch, damals ging es in der „Umfrage“ um Weine. Wenn ich mich recht entsinne, lautete die einzige Frage: „Trinken Sie lieber Weiß- oder Rotwein?“ Als Dankeschön für die Teilnahme wollten sie mir eine Flasche Wein zuschicken – vermutlich mit jeder Menge Werbung, die dann im Wochentakt in meinem Briefkasten landet. Oder einem Abo für eine Kiste Wein meiner Wahl. Als ich sagte, dass sie ihren Wein behalten könnten, waren sie fast beleidigt. Sollten sie jedoch noch einmal anrufen, bin ich vorbereitet und werde behaupten, Alkoholiker zu sein. Oder streng gläubiger Moslem. Vielleicht zitiere ich auch aus erfundenen Studien zum Alkoholkonsum in Deutschland. Wenn unerwünschte Werbeanrufe jetzt als Meinungsumfragen ausgegeben werden, fühle ich mich nicht mehr zur Wahrheit verpflichtet. Ab sofort wird zurückgelogen!