Je näher der Urlaub rückt, desto aufgeregter bin ich normalerweise. Diesmal war für Aufregung und Reisefieber allerdings keine Zeit, nicht mal, um kurz inne zu halten und sich Sorgen über Flugzeugabstürze und andere Katastrophen zu machen, wie ich es sonst gerne tue. Und da ich keine Zeit gehabt hatte, um zu schlafen, hatte ich die ganze Zeit über das Gefühl, im falschen Film zu sein, ein bisschen wie Alice im Wunderland mit lauter verrückten Hutmachern um mich herum. Ein paar kurze, spontane Nickerchen im Flieger nach Amsterdam verstärkten dieses Gefühl der Orientierungslosigkeit noch, die Welt löst sich auf und setzt sich irgendwie falsch wieder zusammen. Als wäre Scotty beim Beamen ein Fehler passiert.
Flughäfen sehen überall auf der Welt gleich aus, es gibt dieselben Geschäfte und Restaurants, die Gänge und Laufbänder und sogar die Toiletten sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Der einzige Unterschied sind die Klischees, die hier feilgeboten werden. In Schiphol waren es Tulpenzwiebeln, die sich zwischen Holzschuhen und Miniaturwindmühlen stapelten, und man kann direkt froh sein, dass die Einfuhr von Käse nahezu unmöglich ist, sonst würde es überall nach Gouda und Edamer riechen. Irgendwie ist es deprimierend, dass Länder und Kulturen auf kitschige Mitbringsel reduziert werden, andererseits weiß man so wenigstens, wo man sich gerade aufhält.
Auf dem schier endlosen Weg zu unserem Gate – wie in Heathrow wurde Schiphol mitten in einem Einkaufszentrum errichtet – fiel mir ein Detail besonders auf. Am Anfang und Ende der Laufbänder warnte eine Stimme sanft, aber bestimmt: „Mind your step!“ Die konstante Wiederholung wirkte wie eine Gehirnwäsche, und wenn zwei Bänder nebeneinander lagen, ergab sich noch ein gruseliger Echoeffekt. „Mind your step“ wurde mein Mantra in einer merkwürdigen Welt, in der die Sprache zwar Ähnlichkeiten mit Deutsch hatte, aber seltsam verdreht und verwaschen klang.
Unser Flugzeug hieß Audrey. Audrey Hepburn, um genau zu sein, und irgendwie nahm ich das als ein gutes Zeichen. Ich stellte mir vor, dass die Stewardessen alle wie Holly Golightly gekleidet wären und Martinis servierten. Was leider nicht der Fall war. Wäre vielleicht eine Marktlücke, käme bei den Gewerkschaften aber sicherlich nicht gut an, schließlich ist die schicke Uniform das einzige, was sie von profanen Kellnern unterscheidet. Wahrscheinlich wäre es auch keine gute Idee, sie in der jeweiligen Landestracht gekleidet Tulpenzwiebeln und Windmühlen verkaufen oder wenigstens eine kleine Auswahl an Käse anbieten zu lassen. So gab es wieder nur den üblichen Duty Free-Krempel und die standardisierten Flugzeugmenüs, die grundsätzlich aus Pasta oder Hühnchen bestehen. Unsere Welt wird unentwegt kleiner. Überall nur Hühnchen oder Pasta, dieselben Parfüme und Sonnenbrillen und Alkoholika. Mind your step! Memento mori.
Der Flug war angenehm ruhig, und nach einem ausgedehnten Nickerchen normalisierte die Welt sich wieder. Zumindest ein wenig. Nur unser Sitznachbar blieb merkwürdig. Er sah aus wie Jogi Löw und sah die ganze Zeit über fern. Dazu hatte er sich seine Decke über den Kopf geworfen und am Vordersitz festgemacht, angeblich weil sich das Licht zu stark auf dem Bildschirm spiegelte, aber es sah schon sehr seltsam aus. Für Mark war er nur noch „die Sitzburka“.
Eines muss man KLM zugute halten: Sie zeigen auch eine Auswahl holländischer Filme. Ich habe mir diesmal gar nichts angesehen, weil meine Fernbedienung kaputt war und für jeden Befehl eine Ewigkeit gebraucht hat. Bis ich mir einen Überblick über das Medienangebot verschafft hatte, waren wir schon fast in Island, und ich hatte die Lust verloren. Außerdem spiegelte sich das Licht tatsächlich auf dem Bildschirm, und ich wollte nicht auch noch unter einer Sitzburka verschwinden, sonst hätten wir vermutlich keinen Nachtisch bekommen. Schlimm genug, dass man schon droht verhaftet zu werden, wenn man in der Reihe vor der Toilette mit seinem Nebenmann spricht, weil diese Form der „Versammlung“ gegen die Bestimmungen des Heimatschutz-Ministeriums verstösst. Unsere Welt wird immer verrückter. Mind your step!
Die Ankunft bestand wie immer aus mehrstündigem Schlangestehen, zuerst bei der Einwanderungsbehörde (warum gerate ich eigentlich immer an die geschwätzigen Beamten, die meine halbe Lebensgeschichte hören wollen?), später beim Mietwagenservice. Dafür kamen beim Anblick der ersten Palme prompt Urlaubsgefühle auf. Endlich wieder in Kalifornien!
Die Chinesen erklären das Gefühl der Unruhe und Verwirrtheit, das sich auf einer Reise oder kurz nach der Ankunft einstellt, so: Die Seele reist langsamer als der Körper und braucht eine Weile, bis sie ihn wieder eingeholt hat. Nach acht Stunden Schlaf fühlte ich mich endlich wieder ganz.
Gemäß einer alten Tradition ging es am ersten Tag an den Strand und dann zur Cheesecake Factory. Zuvor mussten wir allerdings noch Schuhe kaufen. Vor zweieinhalb Jahren habe ich nämlich (Vorsicht: Schleichwerbung!) meine Vorliebe für Sketchers entdeckt. Zu essen gab es meinen Lieblingssalat (Carlton Salad) und danach ein Stück Dulce de Leche Caramel Cheesecake, für Mark Sheilas Cashew Chicken Salad und White Chocolate Macademia Nuts Caramel Cheesecake (wenn man die Anzahl der Buchstaben mit hundert multipliziert, erhält man die Anzahl der Kalorien). Anschließend rollten wir zurück zum Wagen und fuhren nach Hause.
Trotz des üppigen Mittagessens ließen wir uns später noch auf ein Dinner ein: Teriyaki Chicken. Die Amis sind ja ein wenig seltsam, einerseits rümpfen sie ein bisschen die Nase, wenn man sagt, dass man gerne bei der Cheesecake Factory isst, weil es eine Kette ist und sie es sehr traurig finden, wenn Ausländer die US-Küche auf Cheesecake und Fast Food reduzieren, andererseits sind sie meist zu beschäftigt zum Kochen und kaufen Fertiggerichte oder holen ihr Essen bei jenen Ketten, über die sie sich beklagen. Nach dem Essen Fußball. Mexiko gegen Honduras und USA gegen Costa Rica, abwechselnd auf amerikanischen und mexikanischen Kanälen. Es macht tatsächlich mehr Spaß, ein Spiel auf Spanisch zu sehen (in meinem Fall eher zu hören, weil ich nebenbei diesen Bericht schreibe), weil der Kommentator sich so unbändig freuen kann, wenn ein Tor fällt, und das O in „Goal!“ in die Länge zieht wie ein Opernsänger. Und wenn man sieht, wie die Spieler auf dem Feld herumstolpern, möchte man ihnen zurufen: „Mind your step!“