Coming In – ein Versuch

Ich könnte schon fast wieder eine neue Rubrik ins Leben rufen: Filme, die ich nicht zu Ende gesehen habe. Zugegeben, ich könnte nur über ein paar Produktionen im Monat schreiben, da ich immer noch viel zu nachgiebig bin und mir auch Filme bis zum Abspann ansehe, von denen ich nicht überzeugt bin, entweder in der Meinung, dass das Gesehene zwar schlimm, aber keine vollkommene Katastrophe ist, oder in der Hoffnung, dass man nach der Hälfte der Laufzeit vielleicht doch noch versteckte Qualitäten ausmachen kann. Meistens bin ich allerdings nur viel zu faul auszuschalten. Dabei stehlen einem schlechte Filme die Lebenszeit.

Vergangene Woche hatte ich Lust auf eine Komödie und stieß bei SkyGo auf Coming In, von dem es zwar hieß, dass er nicht gelungen sei, aber auch nicht so schlecht, wie viele behaupten. Marco Kreuzpaintner hat vor rund zehn Jahren mit Sommersturm bewiesen, dass er zumindest ein Händchen für Atmosphäre und Figuren hat, außerdem habe ich ihn einmal kennengelernt, weil er als Regisseur für eines meiner Bücher vorgesehen war, und fand ihn recht sympathisch. Da ist man zumindest neugierig.

Coming In ist kein schlechter Film – handwerklich gesehen. Die Hauptfiguren sind sympathisch, der Look ist edel, und Marcos Timing ist besser als bei vielen seiner Kollegen. Das Ganze könnte allerdings witziger sein, die Dialoge pointierter, und ein paar Klischees weniger wären auch besser gewesen. Blöd ist nur, dass die Geschichte nicht funktioniert. Abgesehen davon, dass es fast dieselbe Story bereits in den Neunzigern gab – mit Franka Potente in der weiblichen Hauptrolle, hat sich mir weder erschlossen, warum der Held, ein schwuler Starfriseur, in einem abgerockten Damensalon arbeiten soll, noch warum behauptet wird, dass er nur auf diese Weise etwas über die Wünsche und Bedürfnisse der Frauen erfahren kann. Als ob dies jemals einem Mann gelingen könnte!

Um die Gegensätze besonders groß zu machen, ist er nicht nur reich und berühmt, während sie arm und rotzig-frech daherkommt, sondern auch schwul (oder er hält sich zumindest dafür). Obendrein wird ihm eine regelrechte Frauenphobie angedichtet. Vermutlich weil er nicht von seiner Mutter aufgezogen wurde, sondern von einer Amphibie – unter einem Stein. Soviel Lebensferne hat man bei einer Figur schon lange nicht mehr gesehen. Und warum agiert Kostja Uhlmann anfangs „normal“, um plötzlich in den Tuntenmodus zu verfallen, wenn er einen Hetero darstellen soll? Das ist das Hauptproblem der Geschichte: Alles wird so sehr auf die Spitze getrieben, dass es ins Lächerliche kippt und man am Ende gar nichts mehr ernst nehmen kann.

Zum Glück klingelte es an meiner Tür, als der Film anfing, ärgerlich zu werden. Wer weiß, vielleicht kriegt die Geschichte irgendwann doch noch die Kurve, vielleicht setzt sich Kreuzpaintner noch differenzierter mit der sexuellen Identitätskrise seines Helden auseinander, die im Ansatz so völlig unglaubwürdig wirkt. Vielleicht wird die Story auch irgendwann einmal wirklich lustig. Bisher hatte ich jedenfalls keine Lust, die zweite Hälfte zu sehen, aber der Herbst ist ja noch lang …

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.