Teil 3: Der deutsche Produzent als Beggar of Content
Nun wird auch hier die ebenso ketzerische wie unvermeidliche Frage gestellt, warum die Kinos so vehement auf den Erhalt ihres Auswertungsfensters pochen, wenn sie dieses doch in den wenigsten Fällen zu nutzen wissen. Zumal kein Produzent einen Film, der noch erfolgreich in den Kinos läuft, verfrüht in die Zweitauswertung schicken wird, würde er sich doch so selbst um Einnahmen und letztlich Gewinne bringen. „Honig im Kopf“ ist dafür ein gutes Beispiel, denn dessen Home Entertainment-Start hätte schon zwei Monate früher beginnen können. Der Produzent ist also durchaus in der Lage, verantwortlich mit seinem Produkt umzugehen. Doch warum wird er in Deutschland unter den derzeitigen Umständen trotzdem nie zum King of Content werden?
vom könig zum bettler
Da er nur bedingt am Markt agiert und sich sein finanzielles Risiko stark in Grenzen hält, er sich vielmehr größtenteils in Abhängigkeit von nach staatlichen Vorgaben vergebenen Geldern befindet, müssten sich schon diese Regularien ändern. Der Produzent in Deutschland ist derzeit also eher ein Beggar of Content. Es wäre deshalb die Politik gefragt, doch die wird sich – wie weiter oben bereits erwähnt – nicht so schnell bewegen, weil niemand Lust auf Experimente hat. Trotzdem wird es auch diesmal sein wie so oft: Sobald sich das Marktumfeld ändert, man selbst aber stehen bleibt, steht man schnell mit dem Rücken an der Wand, die eigenen Handlungsspielräume werden eingeschränkt. So wird es auch dem deutschen Film ergehen, dessen Marktanteil weiter sinken wird, was wiederum zu einer erneuten Debatte um Sinn und Unsinn der Filmförderung führt. Der heimische Film wird in die Defensive geraten – und aus solch einer Verteidigungshaltung lässt sich bekanntlich schwer zum Angriff übergehen.
Schweiger, Schweighöfer & Co.
Diesen Weg für neue Auswertungsformen und -abläufe frei machen werden daher diejenigen, die unabhängig sind von Fördergeldern, nämlich die Schweigers und Schweighöfers, die ihre Filme auch komplett aus eigener Tasche finanzieren könnten (wenn sie es denn wollten). Wenn diese die Gelegenheit wittern, dass sich mit flexibleren Auswertungsformen mehr Profit erwirtschaften lässt, werden sie sehr schnell auf die Fördergelder pfeifen, ihre Werke komplett autonom finanzieren und die wahren Kings of Content sein. Und – ob des sich einstellenden Erfolges – trotzdem von allen kritisiert werden, weil sie sich nicht an ein vermeintlich seit Jahrzehnten bewährtes Regelwerk gehalten haben.
mündiger Konsument am Drücker
Machen wir uns nichts vor, letztlich wird der Konsument entscheiden, wo und wie er einen Film sehen möchte und was er dafür zu zahlen bereit ist. Dies tut er im Übrigen schon heute, indem er in den Kinos im vergangenen Jahr einen Großteil der anfangs erwähnten 585 Filme schlichtweg ignoriert hat. Diesen Umstand sollten sich alle an der Filmproduktion und -herausbringung in Deutschland Beteiligten wie Produzenten, Verleiher, Förderer und Kinobetreiber vor Augen führen und entsprechende Flexibilität im Denken und Handeln an den Tag legen. Denn derzeit wird schlichtweg am Publikum vorbei produziert – und das auch noch in großen Mengen. Dies muss nicht heißen, dass es nur noch Crowdpleaser im „Fack Ju Göhte“- oder „Honig im Kopf“-Format geben soll. Gerade Werke wie „Oh Boy“, „Frau Müller muss weg“ oder aktuell natürlich „Victoria“ zeigen, dass es sich lohnt, dem Publikum etwas zuzumuten, indem man sowohl inhaltlich wie auch formal die ausgetretenen Pfade hinter sich lässt. Davon brauchen wir mehr und dafür weniger „Dessau Dancers“ oder „300 Worte Deutsch“.
Auf die Herausforderungen von morgen mit den Mitteln von gestern zu reagieren, hat noch nie funktioniert und wird es auch in diesem Fall nicht. Wer handelt, indem er nicht handelt, wird sich vorwerfen lassen müssen, vor den gravierenden Umwälzungen der kommenden Jahre mutwillig die Augen verschlossen zu haben. Die USA werden auch diesmal der Vorreiter sein. Gleichzeitig wird uns dies hier in Deutschland die Möglichkeit geben, genau zu beobachten, was jenseits des Atlantiks funktioniert und was nicht, um es dann bei uns von Anfang an anders und vielleicht sogar besser machen zu können. Dass die Branche sich aber anhand der neuen digitalen Herausforderungen bewegen muss, steht außer Frage.