Teil 1: Alle Macht den Produzenten
Die Zahl des Jahres 2014 lautet: 585. So viele Filme sind im vergangenen Jahr in den deutschen Kinos gestartet – das sind im Schnitt mehr als elf pro Woche. Die überwiegende Mehrheit davon hat niemanden groß beeindruckt oder überhaupt interessiert – weder ein Publikum, noch die Kinobetreiber oder die Filmverleiher. Und letztlich werden auch die Produzenten wenig Spaß und noch weniger Geld an der Kinoauswertung ihres Produkts verdient haben. So gibt es letztlich nur Verlierer. Und ein in der Regel mit dem Herzblut zahlreicher Beteiligter hergestelltes, hochkreatives Produkt findet nicht die Aufmerksamkeit und das Publikum, das es eigentlich verdient hätte. Irgendwie schade. Doch: Muss das so sein?
Der Großteil der deutschen Produzenten verfügt über zu wenig Eigenkapital. Er ist eigentlich nicht viel mehr als ein besserer Antrag- oder auch Bittsteller, der bei den diversen Filmförderinstitutionen vorspricht. Denn von denen (und in zweiter Linie auch von den TV-Sendern) ist er abhängig. Aber hinter den Filmförderungen steht die Politik und die hat keinerlei Interesse, an einem an sich funktionierenden und mühsam ausbalancierten System zu schrauben. Denn so lange zwar wahrscheinlich nie genug, aber dennoch reichlich Geld fließt, sind alle (mehr oder weniger) zufrieden. Bei einer Änderung wäre den Politikern der Protest (fast) aller im System etablierten Parteien sicher, wie man derzeit in der Diskussion um die Novellierung des Filmförderungsgesetzes sehen kann.
Der Produzent als King of Content
Die Veränderung wird also mal wieder von woanders kommen. Und Deutschland muss aufpassen, dabei nicht ins Hintertreffen zu geraten. Blickt man derzeit in die USA, sind die Vorboten bereits erkennbar. Mit dem Auftauchen von Netflix, Amazon und demnächst auch Apple als neue und vor allem finanzstarke Player auf dem Markt wird die Struktur der Filmherausbringung in den kommenden Jahren weitestgehend umgekrempelt werden. Vor allem das Schema starrer Fenster für die diversen Auswertungsformen wird fallen. In den USA ist dieser Auflösungsprozess bereits zu beobachten. Noch befindet man sich im Versuchsstadium, viele Dinge werden ausprobiert, einiges wieder verworfen, anderes findet wiederholt Anwendung. Das Ziel all dieser Versuche jedoch dürfte klar sein: Die starren Fenster werden schon bald der Vergangenheit angehören. Stattdessen wird für jeden Film in Absprache mit allen Beteiligten eine individuelle Auswertungsstrategie erarbeitet werden.
Anything Goes
In diesem Transformationsprozess wird das Kino seine Vormachtstellung als alleinige Erstaufführungsinstitution verlieren zugunsten eines Miteinanders (!) zwischen Kino, Streaming-Angeboten, Pay- und Free-TV-Ausstrahlung. Und derjenige, der dabei gewinnen wird, ist der Produzent, er wird zum King of Content. Er wird sich entscheiden können, wie er sein Produkt in Zukunft an die Zuschauer bringt: Erst zwei Wochen exklusiv im Kino und dann als teuren Stream? Zuerst im Pay-TV und parallel als VoD? Oder kann zum soeben gesehenen Film die edle Bluray-Box gleich im Kino an der Kasse gekauft werden? Anything goes, entscheiden wird es der Produzent und davon profitieren wird der Konsument.
Planung ist die halbe miete
Ähnlich wie es bereits in den vergangenen Jahren in der Musikindustrie geschehen ist, steht auch der Filmindustrie eine Umwälzung bevor. Die Macht der Produzenten wird wachsen, die der großen Hollywoodstudios wird abnehmen beziehungsweise werden sie sich auf die Herausbringung großer und entsprechend teurer, dafür vermeintlich lukrativer Franchise-Blockbuster konzentrieren. Daneben wird sich ein Boutiquenmodell etablieren. Angesichts der vielen neuen Distributionsmöglichkeiten eines Werks, und da es keinen Automatismus mehr in der Abfolge der einzelnen Auswertungsschritte geben wird, wird es zugleich immer wichtiger, die Veröffentlichung eines Films sehr genau zu planen. Dies fängt bei der Wahl des richtigen Termins an, was in solch einem komplexen Umfeld nicht immer ganz einfach sein wird, und der Definition, welches Zielpublikum man über welchen Kanal erreichen möchte. So wird der Produzent in Eigenregie oder in enger Abstimmung mit einem Marketing- und Vertriebsprofi ein Auswertungsprofil für das jeweilige Produkt erstellen. Und für die anfallenden Aufgaben wird er sich entsprechende Partner in den Bereichen Marketing, PR und Distribution suchen. Er wird sie entweder direkt bezahlen oder sie an den jeweiligen Auswertungserlösen beteiligen. Im Gegenzug wird er der Herr über die Rechte an seinem Werk bleiben, beziehungsweise selbst entscheiden können, mit wem er diese zu welchen Konditionen teilt. Diesem Mehr an Arbeit und Organisation stehen eine höhere Entscheidungsfreiheit und entsprechend höhere Margen bei der Auswertung des Produkts gegenüber.
Dass die Entwicklung über kurz oder lang in diese Richtung gehen wird, steht zweifelsfrei fest. Dazu sind die neuen Player am Markt zu treibend und innovativ. Vor allem aber sind sie mächtig genug, um ihre Vorstellungen auch ohne Rücksicht auf die übrigen Marktteilnehmer verwirklichen zu können. Und natürlich wird die Bewegung von den USA ausgehen. Die Beteiligung einiger Kinoketten an den während des eigentlichen Kinofensters erzielten VoD-Umsätzen bei ausgewählten Titeln oder auch, dass in den USA Filme im Vorfeld als VoD ausgewertet werden, um dann noch in ausgesuchten Kinos gezeigt zu werden, deuten die Richtung bereits an. Dieser Weg wird weiter beschritten werden und es werden in Zukunft noch viele weitere, mehr oder weniger parallel verlaufende Pfade hinzukommen.
Stay tuned: Teil 2 beleuchtet die Auswirkungen der Netflixolution auf die Hollywoodstudios und die verschiedenen Kinotypen.