Wer meine Kolumne regelmäßig liest, weiß, dass Mark G. und ich schon mehrfach die Villa einer Freundin in der Nähe Roms gehütet haben. Jetzt ist es wieder soweit – allerdings zum letzten Mal, da die Besitzerin inzwischen verstorben und die Zukunft des Hauses ungewiss ist. Aber noch sind die beiden Hunde, Luca und Leni, dort und brauchen jemanden, der auf sie aufpasst. Ein Glück für uns und Gelegenheit, von einem Ort Abschied zu nehmen, der für mich zu einem dritten Zuhause geworden ist.
Unser Flug ging schon um halb sieben in der Früh, was leider eine extrem verkürzte Nachtruhe zur Folge hatte. Wie jedes Mal hatte ich mir vorgenommen, diesmal rechtzeitig zu überlegen, was ich alles mitnehme, die Sachen am Morgen rauszulegen und dann in Ruhe zu packen. Und wie stets endete es damit, dass ich wenige Stunden bevor ich das Haus verließ, hektisch durch die Wohnung rannte und wahllos Kleidung in den Koffer warf.
Der Flughafen war um diese Zeit wie ausgestorben. Lediglich an unserem und dem Nachbargate war einiges los, obwohl unser Flieger nur zu zwei Dritteln gefüllt war. Trotzdem hat es ewig gedauert, durch die Sicherheitsschleusen zu kommen, weil man gründlicher als jemals zuvor untersucht wurde. Vielleicht lag es daran, dass wir am 12. September geflogen sind.
Der Start fand bei Sonnenaufgang statt, was uns traumhafte Ausblicke bescherte. Die Felder um München herum waren mit Nebel bedeckt, der an schäumende Gischt erinnerte, und Baumgruppen ragten wie grüne Insel daraus hervor. Von oben betrachtet, sah die Stadt ruhig und ordentlich aus, während man gleichzeitig in der Zeitung lesen konnte, dass an dem Wochenende über zehntausend neue Flüchtlinge erwartet werden. Hier oben war es jedoch friedlich und still.
Bald überquerten wir die Alpen, auch hier Nebelfelder und schneebedeckte Gipfel. Es war so malerisch, dass man sich vorstellen konnte, dass da unten ein Haufen Hobbits und Zwerge herumlaufen, auf der Suche nach einem Berg, der wahlweise von einem Drachen oder einem bösen Zauberer beherrscht wird. Und auch beim Anflug auf Rom überquerten wir eine Landschaft wie aus einem Fantasyfilm: Wunderschöne fast kreisrunde Seen in waldbedeckter Berglandschaft, die fast vergessen lassen, dass es sich bei ihnen eigentlich um Vulkankrater handeln, die die Schönheit und scheinbare Ruhe jederzeit ins Chaos stürzen können. Irgendwie auch gerade ein Sinnbild Europas.
In Fiumicino war dann unser Flugzeug kaputt. Ein Computerfehler, der verhinderte, dass wir aus eigener Kraft das Terminal ansteuern konnten. Also hieß es warten, bis man uns abschleppte, und dann mussten wir über eine Treppe aussteigen wie in einem alten Film. Hatte sogar etwas.
Unser Mietwagen hat Mark G. geradezu verzückt, besaß er doch vor zwanzig Jahren ein Auto derselben Marke, allerdings ist die neue Baureihe wesentlich moderner und komfortabler und röhrt auch nicht mehr wie ein alter Panzer. Ein unbestreitbarer Vorteil ist, dass wir nun ein italienisches Kennzeichen haben und daher nicht weiter auffallen – zumal Mark G. schon nach wenigen Kilometern so „italienisch“ fuhr, dass Autofahrer uns bereitwillig Platz gemacht haben, als wir über die Landstraßen schossen.
Es ist eben von Vorteil, sich auszukennen. Und ein Vergnügen, die alten Orte wiederzusehen, die so mit Erinnerungen befrachtet sind, dass sie ein Teil unserer selbst werden. Schon die Fahrt den Berg herauf zur Villa weckte unzählige Gefühle, und so wird vermutlich von nun an jeder Tag mit Wehmut durchzogen sein. Aber noch stehen wir ja am Anfang unseres Urlaubs …