Angesichts der Flut neuer Filme, die ununterbrochen über uns hereinbricht, ist es unmöglich, sich alles anzuschauen. Man kann nicht einmal jeden Film sehen, der einen interessiert, zumindest nicht im Kino. Das Schöne ist jedoch, dass es dank der Streamingdienste immer leichter wird, Versäumtes nachzuholen.
Jedes Jahr versuche ich, mir wenigstens die Oscar-Kandidaten anzusehen, aber in schöner Regelmäßigkeit scheitere ich schon im Ansatz. Meistens dauert es Jahre, bis ich dazu komme, diese Lücken aufzufüllen, und häufig gehört ein gewisses Maß an Überwindung dazu, sich an einen Stoff heranzuwagen. Neben La Grande Bellezza fehlte mir von den Gewinnern 2013 nur noch Her, und nachdem ich viel Gutes über die Spike Jonze-Produktion gehört habe, musste ich mich nicht einmal zwingen, ihn anzusehen …
Her
In naher Zukunft in Los Angeles: Theodore (Joaquin Phoenix) hat sich gerade von seiner großen Liebe Catherine (Rooney Mara) getrennt und leidet darunter. Als er sich eines Tages ein neues Betriebssystem für sein Mobiltelefon herunterlädt, das von einer Künstlichen Intelligenz gesteuert wird, verfällt er sehr bald diesem Computerprogramm namens Samantha (Stimme: Scarlett Johansson) und geht schließlich sogar eine Beziehung mit ihm ein.
In Platons Höhlengleichnis sehen wir Menschen nur die Schatten, die auf eine Wand projiziert werden, und halten sie für das wahre Leben. Erst wenn wir uns davon lösen und versuchen, hinter die Dinge zu sehen, erkennen wir, was wirklich und wahr ist. In gewisser Weise kann man dieses Bild auch auf Her und die moderne Kommunikationswelt anwenden, die wir bereits kennen und die Spike Jonze in seiner Geschichte um den Aspekt der KI erweitert hat. Aber auch heute schon gibt es Menschen, die mehr im Internet leben als in der wahren Welt.
Die Zukunft, die Jonze beschreibt, mutet reichlich naiv an: Die Menschen scheinen alle kreativen Berufen nachzugehen, die mehr der Selbstverwirklichung als dem Broterwerb dienen – so schreibt Theodore gefühlvolle „handgeschriebene“ Briefe für seine Auftraggeber – und leben in weitläufigen Luxusappartements in innerstädtischen Wolkenkratzern. Hipster 4.0 sozusagen. Auch das Los Angeles der Zukunft ist eine hübsche, aseptische Metropole, die wie eine Modellstadt in einer Computersimulation wirkt. Alles ist so unwirklich perfekt, dass man die ganze Zeit darauf wartet, dass sich die Welt als Illusion entpuppt.
Als illusorisch erweisen sich vor allem die Emotionen und Vorstellungen, die die Menschen voneinander haben. Alles ist nur Gefühl in diesem Film – oder auch nur die Illusion davon. Theodore schreibt in seinen Briefen über die Empfindungen, die seine Auftraggeber selbst nicht auszudrücken in der Lage sind – aber vielleicht ist auch das nur eine Illusion, die hübsche Vorstellung von etwas, von dem wir glauben, dass es zum Leben dazugehört. In einer Schlüsselszene des Films wirft ihm Catherine vor, mit seinen Gefühlen nicht umgehen zu können, und bringt damit die Ironie der Story auf den Punkt.
So empathisch Theodore auch in seiner Arbeit ist, privat bereiten ihm Gefühle eher Probleme. Nach der Trennung von Catherine zögert er die Scheidung hinaus so lange es geht, weil er sich vor dem fürchtet, was danach kommt: die Einsamkeit. Solange er verheiratet ist, kann er sich wenigstens noch die Illusion bewahren, nicht allein zu sein.
Samantha wirkt von Anfang an sehr menschlich. Sie ist witzig, schlagfertig, sogar manipulativ und neugierig. Zunächst fungiert sie, wofür sie geschrieben wurde, als Assistentin managt sie Theodores digitales Leben und bringt sogar seine Karriere voran. Durch ihre Unterhaltungen kommen die beiden sich näher und verlieben sich sogar. Dabei durchlaufen sie sämtliche Phasen einer normalen Beziehung, inklusive Betrug und Eifersucht. Samantha wird zunehmend zickiger und schwieriger, und es ist bezeichnend, dass sie sich am Ende weiterentwickelt und – im Sinne Platons – eine andere Ebene erreicht. Was Jonze buchstäblich umsetzt und seinem Film kräftig mit Metaphysik anreichert.
Jonze reißt überhaupt sehr viele Themen an, die faszinierend sind und es verdienen, weiterverfolgt zu werden, aber interessiert ist er im Grunde nur an der ungewöhnlichen Liebesgeschichte. Was schade ist, denn diese zieht sich leider ziemlich lange und unaufgeregt dahin. Joaquin Phoenix liefert eine beeindruckende Leistung ab, lastet die Darstellung doch allein auf seinen Schultern, denn mehr als eine sexy Stimme ist Samantha nicht. Und dennoch wirkt sie äußerst lebendig, was ebenfalls ein schauspielerisches Kunststück darstellt.
So faszinierend diese Geschichte auch ist, nach einer Weile ergeht sie sich nur noch in Wiederholungen derselben Verhaltensmuster, die lediglich emotional intensiviert werden, ohne dabei einem Höhepunkt zuzustreben. Interaktionen mit der Welt außerhalb dieser Blase gibt es kaum, und was sich an spannenden Entwicklungen vollzieht, die Weiterentwicklung der KI und die Art und Weise, wie die Gesellschaft darauf reagiert, findet nur indirekt einen Widerhall. Das ist auf Dauer ermüdend.
Unterm Strich bleibt eine faszinierende Liebesgeschichte im Kommunikationszeitalter, die jedoch mehr intellektuelles als sinnliches Vergnügen bereitet.
Note: 3+