Da ich das Fernsehen im Allgemeinen und die privaten Sender im Besonderen eher meide, weiß ich nicht, ob es immer noch jene Sendungen gibt, in denen die vermeintlich besten Filme, Schlager oder Hunderassen präsentiert werden, gerne mit inhaltsleeren, aber erinnerungsreichen Kommentaren von Prominenten garniert, von denen man noch nie gehört hat oder die zu Recht in der Versenkung verschwunden sind. Früher, als ich noch hin und wieder durchs Programm gezappt habe, bin ich tatsächlich einige Minuten lang hängengeblieben, weil man sich bei diesen Aufzählungen ja gerne überlegt, wie denn die eigene Bestenliste aussehen würde.
Vergangenes Wochenende gab es etwas Ähnliches auf Spiegel Online, wo zum fünfundzwanzigsten Jubiläum von Ghost die „schönsten Schmachtfetzen der Filmgeschichte“ vorgestellt wurden. Wer sich an diese Zeit erinnert, weiß sicherlich noch, dass Patrick Swayze damals mit diesem und einem weiteren, drei Jahre älteren Film, gemeint ist natürlich Dirty Dancing, zum King of Kitsch avancierte. 1990 startete übrigens auch Pretty Woman, und damit waren die Kinos über etliche Wochen fest in Frauenhand. Als Mann konnte man damals nur mit dem Kopf schütteln und sich fragen, wie das passieren konnte.
Alle drei Filme tauchen natürlich in der Liste der „Tearjerker“ auf, zusammen mit so offensichtlichen Kandidaten wie Titanic, Legenden der Leidenschaft und Bodyguard. Ältere Filme wurden auch genannt: Love Story und So wie wir waren selbstverständlich, allerdings nur ein einziges, klassisches Melodram: Solange dein Herz schlägt. So weit, so nachvollziehbar. Wobei ich Pretty Woman jetzt nicht als Tearjerker bezeichnen würde, fehlt ihm dafür doch ein tragisches oder zumindest trauriges Ende.
Ein wenig geärgert habe ich mich aber über die despektierlichen Bezeichnungen Kino-Schnulzen und Schmalzfilme oder Schmachtfetzen. Für die meisten der oben genannten Filme mag das vielleicht noch zutreffen, aber Produktionen wie Jenseits von Afrika, Dr. Schiwago, Der englische Patient oder Vom Winde verweht allein auf ihre tragischen Liebesgeschichten zu reduzieren, ist doch etwas zu harsch. Und ist es legitim, all diese Filme in einen Topf zu werfen mit richtigen, vor Schmalz triefenden Kitschproduktionen wie zum Beispiel den auf heile Welt getrimmten Liebesfilmen der Fünfzigerjahre? Selbst wenn man sie zu den besten Filmen dieser Art zählt?
Und dann frage ich mich, was Filme wie Casablanca, William Shakespeares Romeo und Julia von Baz Luhrmann, Die Brücken am Fluss, Stolz und Vorurteil (von Joe Wright) oder Brokeback Mountain in dieser Aufzählung zu suchen haben. Stehen Gefühle plötzlich unter Generalverdacht, kitschig zu sein? Überspitzt formuliert: Muss man Harold und Maude auch zu den Schmachtfetzen zählen, weil er von einer Liebe mit tragischem Ausgang erzählt? Ist Schindlers Liste ein Tearjerker, weil er so inszeniert ist, dass er zwangsläufig Gefühle beim Betrachter weckt? Wohl kaum.
Nicht die Liebesgeschichte an sich definiert einen Schnulzen- oder Schmachtfilm, sondern die Art und Weise, wie sie geschrieben und inszeniert ist. Falsche, aufgesetzte oder psychologisch nicht nachvollziehbare Gefühle oder emotionale Entwicklungen spielen dabei eine Rolle, eine kitschige oder übertrieben rührselige Inszenierung eine andere. Wenn in Legenden der Leidenschaft alles weichgezeichnet und mit schluchzenden Geigen untermalt wird, kann man die Bezeichnung Schmachtfetzen schon nachvollziehen, auf Casablanca trifft das, wenn überhaupt, nur in ein, zwei Szenen zu, und selbst dann fragt man sich: Haben wir Angst vor Gefühlen? Finden wir Emotionen auf der Leinwand und womöglich in unserem Leben nur noch peinlich?
Die Definition, was Kitsch ist, gestaltet sich mitunter schwierig. Gartenzwerge gelten gemeinhin als Inkarnationen des Kitsches, aber die Skulpturen von Jeff Koons sind Kunst, weil sie ironisch zu verstehen sind. Kitsch hat immer mit Geschmack zu tun, und Geschmäcker sind verschieden. Kitsch hat aber auch mit Gefühlen zu tun, in der Regel mit einer übersteigerten Darstellung derselben, mit der Idealisierung von Personen, Zeiten oder Lebensumständen. Als Stilmittel im Film wird im Wikipedia-Eintrag unter Kitsch übrigens die Zeitlupendarstellung der Kampfszenen von Matrix genannt, weil dieses Stilmittel dazu dient, beim Zuschauer ein „intendiertes Gefühl“ hervorzurufen. Alles klar?
Kurz und gut: Kitschig sind Filme dann, wenn alles irgendwie zu schön ist, um wahr zu sein, wenn eine Geschichte unreflektiert und voller Klischees wiedergegeben wird, wenn Gut und Böse klar getrennt sind und die Helden leuchtende Lichtgestalten. Dann freue ich mich schon jetzt auf die nächste Liste mit den besten Kitsch-Filmen, auf der sich neben Matrix sicherlich auch Star Wars finden wird, zusammen mit einigen anderen Klassikern der Filmgeschichte.
Vielleicht wird es mal Zeit für eine Liste mit den zehn schrecklichsten Bestenlisten aller Zeiten?