Der June Gloom hat L.A. voll im Griff. Bis zur Mittagszeit ist es grau und bewölkt, aber dann kommt die Sonne heraus, und es wird warm. Am Samstag sollte es regnen, und vielleicht kamen in den Bergen auch ein paar Tropfen herunter, in der Stadt blieb es jedoch trocken. Wir entschieden uns dennoch, das Beste aus diesem bewölkten Vormittag zu machen, und gingen ins Kino, um uns anzusehen, wie die Stadt, in der wir uns gerade aufhalten, bei einem Erdbeben zerstört wird …
San Andreas
Ein Erdbebenforscher (Paul Giamatti) entwickelt eine Möglichkeit, schwere Beben vorherzusagen – und entdeckt, dass Kalifornien kurz vor einer Katastrophe steht: Kurz darauf werden Los Angeles und San Francisco von den heftigsten Erdbeben der Geschichte heimgesucht, und das ist noch nicht alles, denn dem Norden droht auch noch ein Tsunami. Rettungsflieger Ray (Dwayne Johnson) hat alle Hände voll zu tun, seine Ex-Frau (Carla Gugino) und Tochter (Alexandra Daddario) zu retten …
Katastrophenfilme erleben seit einigen Jahren ein Comeback, denn dank der neuesten Computertechnologie ist es möglich, die zerstörerischen Auswirkungen von Naturkatastrophen überaus realistisch darzustellen. Und die Effekte in San Andreas können sich wirklich sehen lassen! In einigen wenigen Szenen ist die Umsetzung nicht ganz perfekt gelungen, aber alles in allem ist es beängstigend realistisch. Vor allem, wenn man den Film in L.A. anschaut, erst vor wenigen Wochen in San Francisco war und nun Zeuge wird, wie all die vertrauten Gebäude und Straßen plötzlich in sich zusammenstürzen.
Die Geschichte selbst ist so simpel wie man das in diesem Genre gewohnt ist. Im Gegensatz zu den Katastrophenfilmen aus den späten Sechzigern und Siebzigern, in denen meisten Fremde zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengewürfelt wurden, geht es einmal mehr um die Mitglieder einer Familie, die zueinanderhalten und sich gegenseitig retten müssen. Und selbstverständlich leiden sie unter einem Trauma in der Vergangenheit, das in den ruhigeren Phasen des Films aufgearbeitet werden muss. Todesangst als therapeutischer Ansatz – Psychologen sollten dies einmal als Therapieform ins Auge fassen …
Im Gegensatz zu den alten Filmen kann man heutzutage auch davon ausgehen, dass fast alle Stars überleben. Oder zumindest diejenigen, die einen sympathischen Charakter spielen, denn die Bösewichter werden stets für ihre Sünden bestraft. Insofern funktioniert jeder Katastrophenfilm ein bisschen wie ein Strafgericht Gottes. Und natürlich darf in keinem dieser Filme ein wissenschaftlicher Experte fehlen, der dem Zuschauer anfangs einen kleinen Ausblick auf das gibt, was ihn und die ahnungslosen Charaktere erwartet, während er später erklären muss, warum ein völlig übertrieben geschildertes Ereignis durchaus realistisch sein kann.
Im Gegensatz zu früher wird auch der Grad der Gefährdung stetig gesteigert. Reichte es einmal aus, wenn eine Figur am Abgrund hing, droht heute wenigstens noch ein Truck auf sie zu fallen oder ein mit Schulkindern besetzter Bus, die ebenfalls gerettet werden müssen. Auch in San Andreas wird die Schraube dabei gelegentlich überdreht, so dass die Situation ins Lächerliche zu kippen droht, aber solange es der Spannungssteigerung dient und damit der Unterhaltung, kann man getrost darüber hinwegblicken – schließlich ist das gesamte Setting häufig schon hemmungslos übertrieben.
Zu den hervorstechendsten Eigenschaften der handelnden Figuren gehört auch ihr handwerkliches Geschick, das es ihnen ermöglicht, aus einer rostigen Dose und einem alten Schuh ein Funkgerät zu basteln, und sie sind auch sportlich genug, um jedes Hindernis zu überwinden oder minutenlang unter Wasser Steine beiseite zu räumen. Immerhin handelt es sich in diesem Fall bei der Hauptfigur um „The Rock“, dem man sowieso alles zutraut. Sogar, dass er seine Tochter inmitten des Trümmerhaufens, der einmal San Francisco war, wiederfindet, während jeder, der schon einmal jemanden in einem mittelgroßen Supermarkt aus den Augen verloren hat, an dieser Aufgabe verzweifeln müsste.
So ist auch das Drehbuch von Carlton Cuse das schwächste Element des Films, wird jedoch von den gelungenen Effekten mehr als aufgewogen. San Andreas bedient all diese Genreversatzstücke und Klischees perfekt und ist bei aller Vorhersehbarkeit, übertriebenem Pathos und manchmal ins Lächerliche kippender Melodramatik vor allem eins: verdammt unterhaltsam.
Note: 3+
P.S. Kaum hatte ich die Arbeit an diesem Blog-Beitrag beendet, bebte nur wenige hundert Meter von uns entfernt die Erde (zwar „nur“ 3,4 auf der Richter-Skala, aber immerhin habe ich diesmal was gespürt) – diese PR-Menschen lassen auch nichts unversucht …