Am Mittwoch besuchten wir einen alten Bekannten, den Valley of Fire State Park, der erstaunlicherweise immer noch so etwas wie ein Geheimtipp zu sein scheint. Zumindest unter den Amerikanern, nicht unter den Deutschen, denn der Park schien nahezu ausschließlich in der Hand unserer Landsleute zu sein.
Dieser Landstrich in der Nähe von Las Vegas ist aber auch ein Schmuckstück unter den Schönheiten des Südwestens. Tiefrote Felsen wie in Zion oder Canyon de Chelly wechseln sich mit bunten Gesteinsformationen ab, die an die Painted Desert, Death Valley oder Grand Staircase Escalante erinnern. Die Farben der Berge reichen von Gelb, über Orange, Rot, Rosa bis Braun, und manchmal, wie im Fall der Fire Wave, sind sie sogar gestreift. Schöner geht‘s schon fast nicht mehr. Und indianische Petroglyphen gibt es obendrauf. Die antiken Zeitungen berichten von der Begegnung mit Bären und Wildtieren, warnen aber auch vor Gefahren wie der „verrückten Fledermaus-Frau“. Damit ist vermutlich eine Hexe gemeint – oder das Ganze ist ein Übersetzungsfehler.
Da unser Freund aus L.A. noch nie hier war, mussten wir natürlich die komplette Runde durch den Park drehen und unternahmen auch drei Wanderungen. Bei 36 Grad im Schatten kein leichtes Unterfangen. Vor allem, da es auf manchen Wegen keinerlei Schatten gab … Da hilft nur eines: viel trinken. Dass es immer noch Leute gibt, die sich ohne Wasserflasche auf den Weg machen, noch dazu mit kleinen Kindern im Schlepptau, ist nahezu unbegreiflich.
Nach all den Wanderungen in dieser traumhaften Umgebung ging es am Nachmittag weiter nach Las Vegas. Diesmal übernachten wir in Downtown, wodurch man die Stadt einmal komplett anders erleben kann, irgendwie urtümlicher und rauer. Der Strip ist inzwischen nahezu komplett disneyfiziert und gentrifiziert worden, eine auf Hochglanz polierte Entertainmentwelt, in der man sich wunderbar unterhalten lassen kann, die aber nur noch wenige Ecken und Kanten aufweist.
Aber auch Downtown hat sich gemacht – und zum Glück zum Besseren. In den letzten Jahren erlebte dieser Bezirk eine regelrechte Verjüngungskur, Hotels wurden renoviert (in einem kann man in einer gläsernen Wasserrutsche ein Haifischbecken durchqueren) und um Außenbars erweitert. Nun kann man dort sitzen, Cocktails schlürfen und dabei die vorbeischlendernden Touristen auf der Fremont Street begaffen – oder von ihnen begafft werden. Tatsächlich fehlt bei manchen dieser Bars nur das Schild: Bitte nicht füttern! Dafür tanzen dort halbnackte Mädchen auf den Tresen, nach denen sich jedoch kaum jemand umdreht, weil überall nackte Haut geboten wird. Das Publikum ist insgesamt jedoch jünger geworden, und es tummeln sich auch viele ausländische Touristen dort. Für einen Mittwoch war es jedenfalls beängstigend voll, da möchte man gar nicht wissen, wie es an einem Samstagabend zugehen mag.
Neben den barbusigen Showgirls, mit denen man sich fotografieren lassen kann (oder für die Damen: halbnackte Cowboys, Indianer und fette, alte Männer in Windeln, wahlweise als Baby oder als Amor verkleidet), tummeln sich dort auch jene kostümierte Helden, ohne die eine städtische Touristenattraktion anscheinend nicht mehr auskommt: Spider-Man, Minnie Maus und ein übrig gebliebener Transformer posieren für Fotos, und dazwischen wirbt ein junger Mann im Hanfblatt für die Legalisierung von Marihuana. Ein wenig erinnert das alles an Venice Beach, nur mit wesentlich mehr Betrunkenen.
Die Fremont Street wurde schon vor ungefähr zwanzig Jahren überdacht und wirkt wie eine gigantische Mall. In den Abendstunden fungiert die Unterseite des Daches als riesiger Bildschirm, auf den Lichtshows projiziert werden – oder wie am Mittwochabend Ausschnitte aus einem Konzert von Bon Jovi, die mit einigen Computertricks aufgemotzt wurden. Nicht schlecht, muss man aber nicht gesehen haben.
Neu sind auch mehrere Bühnen mit Liveshows, die jedoch mit den vielen Straßenmusikern um die Aufmerksamkeit der Massen kämpfen müssen. Da spielt die Hard Rock Band gegen die Reggae-Musiker an, die mit dem Trommler und dem Rapper einige Meter weiter konkurrieren, und über allem schwebt der Geruch frischer Farbe von dem Künstler, der Metallplatten besprüht. Die Menschen tanzen ausgelassen auf der Straße und trinken sich dazu einen an. Die gesamte Fremont Street hat sich in eine Partymeile verwandelt. Nur die Obdachlosen und Bettler, die es an allen Ecken gibt, sorgen für Brüche in diesem Bild.
Kurioses am Rande gibt es auch: Zum Beispiel den Heart Attack Grill mit dem kalorienreichsten Burger der Welt, der knapp zwei Kilogramm Hackfleisch und jede Menge Käse beinhaltet. Stolze 9984 Kalorien in einer Mahlzeit – ein afrikanisches Dorf könnte vermutlich ein ganzes Jahr davon zehren. Trotzdem frage ich mich, warum sie nicht noch eine Erdnuss obendrauf packen, um die 10000 vollzukriegen? Vor dem Laden steht eine Waage, denn wer mehr als 350 Pfund wiegt, isst umsonst, drinnen tragen die Gäste Krankenhauskittel, und die Kellnerinnen sind als Schwestern verkleidet. Sicherlich ist es auf eine Art pervers, andererseits ist es auch eine clevere Art, mit den gesundheitlichen Vorbehalten gegen Fast Food umzugehen. Schließlich sind wir in Amerika, jeder hat hier das Recht, auf seine Art fett und glücklich zu werden.
Witzig ist auch die Werbung einer Bar, die auf einem Schild fragt, ob man unter „quälender Nüchternheit“ leidet und gleichzeitig Hilfe anbietet. Ein anderes Schild an einem Kasinoeingang verbietet hingegen den Eintritt mit Schusswaffen oder Messern, ein weiteres untersagt in einem Café – für das nikotingeschwängerte Las Vegas unerhört – das Rauchen, übrigens auch das von E-Zigaretten.
Die größte Attraktion auf der Fremont Street sind allerdings vier Seilrutschen. Für 20 Dollar kann man hoch über den Köpfen der Flaneure die halbe Straße sitzend durchqueren, für das Doppelte hängt man in einem Gurt und fliegt geradewegs von einem Ende der Fremont Street zum anderen. Sehr beliebt, wenn man sich gerade durch ein komplettes Vegas-Büffet gefressen hat …