Wir sind wieder unterwegs. Man hätte meinen können, dass eine Rundreise über knapp siebentausend Meilen genug wäre, aber nein, wir mussten ja noch ein paar Tage in der Wüste anhängen. Der Grund dafür ist simpel: Als wir die Reise planten, gingen wir von einem strengen kanadischen Winter aus, der bis weit in den Mai hineinreichen würde, und zum Aufwärmen wollten wir noch ein wenig in heißere Gefilde. Dass es einer der mildesten Winter seit Menschengedenken werden würde, konnte ja damals keiner ahnen.
Am Sonntag brachen wir zusammen mit einem Freund in L.A. auf und erreichten Mesquite am späten Nachmittag, nachdem wir, wie es die Tradition gebietet, zum Mittagessen in Peggy Sue’s Diner gewesen waren. Mesquite hat sich seit meinem letzten Besuch vor fünf Jahren kaum verändert, es gibt immer noch drei große Hotels, und in einem davon sind wird untergekommen. Die Klientel ist eher älter und aufgrund übermäßigen Nikotinkonsums nicht gerade die gesündeste, aber es mischen sich auch etliche jüngere Leute darunter, die entweder wegen der niedrigen Preise gekommen sind oder wie wir wandern wollen.
Es ist heiß – habe ich das schon erwähnt? Das Thermometer kletterte auf 43 Grad im Schatten, und man konnte es eigentlich nur im Swimmingpool einigermaßen gut aushalten. Die Klimaanlage lief natürlich auf Hochtouren, auch nachts, was leider zur Folge hatte, dass ich nicht schlafen konnte, weil das blöde Ding zu viel Krach machte. Ohne Klimaanlage wurde es jedoch so heiß, dass ich ebenfalls nicht schlafen konnte …
Es traf sich daher ganz gut, dass ich um sechs Uhr aufstehen musste, um mit unserem Freund zum Zion National Park zu fahren, während Mark G. im Hotel blieb, um zu arbeiten. Zum Frühstück bestellten wir das Spezialangebot des Hauses: ein Hamsteak, dass zu groß ist, um es aufessen zu können. Entweder stammt es von einer neuen Rasse Riesenschweine oder aus dem Versuchslabor eines Gentechnikunternehmens.
Vor zehn Jahren war ich das erste Mal in dieser Gegend, ein zweites Mal vor fünf Jahren, und seither hat sich einiges verändert. St. George und Hurricane, einst zwei verschlafene Kleinstädte im Südwesten, sind nahezu zu einer einzigen Metropole verschmolzen und haben ihre Bevölkerungszahl vermutlich verdoppelt. Der Grund dafür ist, dass viele Rentner das trockene, warme Klima des Südwestens lieben, aber nicht mehr in Phoenix oder Las Vegas leben wollen, weil es ihnen zu teuer geworden ist. Hier bekommt man für wenig Geld riesige Häuser, und die Infrastruktur wird von Jahr zu Jahr besser. Es gibt jede Menge Shopping Malls, Ärzte und sogar ein Kino. Und es wird fleißig weiter gebaut – ich hatte den Eindruck, dass, als wir am Abend zurückfuhren, die Stadt wieder ein Stück gewachsen war.
Durch die Zeitumstellung – Utah befindet sich in einer anderen Zeitzone – verloren wir eine Stunde und erreichten den Park erst gegen zehn Uhr. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon fast keinen Parkplatz mehr. Manche Schulen haben bereits Ferien, und offensichtlich haben eine Menge Familien diesen Umstand genutzt und sind früh in den Urlaub gefahren.
Die Wanderung, die wir machen wollten, verläuft durch ein Tal und entlang des Virgin Rivers, die meiste Zeit allerdings eher mitten durch ihn hindurch. Man braucht wasserfestes Schuhwerk oder Schuhe, die man danach wegwerfen kann, am besten zwei Wanderstöcke und ein bisschen Mut. Und man darf keine Angst davor haben, nass zu werden, denn stellenweise watet man bis zu Mitte der Oberschenkel in Wasser. Kleinere Menschen sinken natürlich tiefer ein. Und das auch nur, weil der Fluss gerade sehr wenig Wasser führt. Bei den zwei vorherigen Versuchen waren nie besonders weit gekommen, da der Virgin River stark angeschwollen war und wir ihn nicht schwimmend durchqueren wollten.
Die Wanderung hat Spaß gemacht – es wäre aber noch bedeutend lustiger geworden, wenn wir nicht ständig in einem Pulk von zehn bis zwanzig Leuten gelaufen wären, die drängelten oder überholen wollten. Meistens läuft man dabei durch das sandige Flussbett, das von großen Steinen übersät ist, und kämpft gleichzeitig gegen die Strömung an, weshalb man auch die Stöcke braucht, um das Gleichgewicht halten zu können. Insgesamt ein ziemlich gutes Fitnesstraining, auch wenn ich überrascht bin, an welchen Stellen ich den Muskelkater spüre …
Erstaunlicherweise gab es jede Menge Menschen, die ohne Stöcke unterwegs waren oder nur mit einem dicken Holzknüppel, der aussah, als hätten sie ihn Rübezahl geklaut. Entsprechend oft sah man sie ins Wasser plumpsen. Andere hingegen schafften es sogar ganz ohne Hilfsmittel, ein junger Mann sogar ohne Schuhe, was mir doch sehr leichtsinnig vorkam. Eine junge Frau hingegen war dagegen geradezu perfekt ausgestattet mit einer Gallone Wasser in der einen und ihrem Handy in der anderen Hand. Während sie durch den Fluss stapfte, tippte sie gleichzeitig eine SMS – sie war verdammt gut darin. Sich schnell durchs Wasser zu bewegen, meine ich.
Flipflops taugen übrigens nicht, weil einem die Strömung buchstäblich die Schuhe auszieht, sogar dann, wenn man sie auf abenteuerliche Weise an seinen Füßen festbindet. Was ich vor zehn Jahren auch versucht hatte, aber man lernt ja bekanntlich dazu. Außerdem ist das Wasser ziemlich kalt, was allerdings einen großen Vorteil hat: Nach einer Weile tun einem die Füße nicht mehr weh, weil man die ganze Zeit über Felsbrocken läuft. Nur eine Sache nervt unheimlich – man bekommt ständig Sand und Steine in die Schuhe.
Während man immer weiter flussaufwärts wandert, rücken die Felswände links und rechts näher heran. Stellenweise sieht es sogar aus wie in einem Slot Canyon, und es dringt nur ein schmaler Sonnenstrahl bis zum Grund vor. Ein zauberhafter, magischer und friedlicher Ort – wenn die Menschenmassen nicht wären. Nach drei Stunden mussten wir kehrtmachen, weil es sonst zu spät geworden wäre. Eine weitere Stunde später hätten wir einen Wasserfall erreicht, aber den sehen wir uns dann das nächste Mal an.